PROJEKT
Mehr Glück, weniger Schicksal
Als eine virtuelle Fußball-Community Fortuna Köln vor der Insolvenz bewahrte, wurde die lange blasse Fortuna aus der Südstadt zum Kultklub. In der fünften Liga soll der Neuanfang des „zweiten Fußballclub Kölns“ gelingen. Von Stefan Hossenfelder und Jan Zurheide

Fortuna Köln

Kölsches Lebensgefühl in der Südstadt: Fortuna Köln versucht den Neuanfang in der fünften Liga



Manchmal sind es Sekunden, in denen sich Jahre entscheiden. Es sind Sekunden wie jene am 17. Mai 1986, als der Dortmunder Ingo Anderbrügge den Ball mit letzter Kraft von links herein gab und ihn Jürgen „Kobra“ Wegmann mit einer Mischung aus Glück und Schicksalsfügung über die Linie stolperte. Drei Viertel der Relegation hatte Fortuna Köln bereits für sich entschieden, die letzten Sekunden jedoch nicht. 30 Sekunden, ohne die sich der Sportclub zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte Erstligist hätte nennen dürfen. Es kam anders.

Glück und Schicksal sind die beiden Bedeutungen des lateinischen Wortes „Fortuna“. In Köln erzwang man zu wenig des ersten und ergab sich schließlich letzterem. Das Entscheidungsspiel, ironischerweise in Düsseldorf ausgetragen, endete in einem 0:8-Desaster und der Beerdigung jedweder Erstligaträume bis zum heutigen Tag. Dass es nicht zum Aufstieg reichte, festigte das Schattendasein von Fortuna Köln. Ein Verein, dessen verhältnismäßig hohe Ambitionen und verbreitete Anerkennung nie im richtigen Verhältnis zu Erfolg und Strahlkraft standen.

Dass sich das Kölner Stadtgespräch durch einen positiven Relegationsausgang oder einen Sieg im innerstädtischen DFB-Pokalfinale 1983 nicht zu Gunsten der Fortuna gewandelt hätte, werden die rar gesäten Anhänger des „zweiten Fußballclub Kölns“ im grauen NRW-Ligaalltag kaum anzweifeln. Selbst Hans „Jean“ Löring, der als Präsident und Mäzen wie niemand sonst für den Südstadtklub stand und im Laufe seiner 34-jährigen Regentschaft Millionen in den Klub investierte, feierte nicht die Erfolge, die er sich für sein „Vereinche“ erträumt hatte. Dem FC konnte man in all den Jahren nur punktuell das Wasser reichen. Einer Rivalität zwischen beiden Klubs, steht jedoch seit jeher eine grundsätzlich beidseitige Sympathie entgegen. Vergleiche zu anderen Fußballstädten hinken. Der aktuelle Präsident Klaus Ulonska, laut eigener Aussage „eingefleischter FC-Fan“ und „einhundert prozentiger Fortune“, wagt es dennoch: „Wir sind eine Art kleines St. Pauli, wir sind Kult.“ Das Einzugsgebiet jener, die diesem Kult frönen ist allerdings traditionell klein und beschränkt sich zumeist auf die Südstadtviertel der Domstadt. Dies liegt für Ulonska in der Natur der Sache: „Die Leute wollen auf dem Rasen elf Spieler im Fortunatrikot sehen, die die Südstadt repräsentieren.“
Dirk Lottner kennt das. Der U-17-Trainer des 1. FC Köln entstammt selbst der Fortuna. „Der Verein war schon immer sehr familiär. Darauf hat Jean Löring stets geachtet. Die wenigen Fans, die da waren, kannten wir alle persönlich“, erinnert sich Lottner.

In 231 Zweitligaspielen als Fortune und 161 Partien für den FC konnte aber auch er keine übermäßige Rivalität feststellen: „Vom Lebensgefühl her unterscheiden sich die Klubs nicht gravierend. Es gab zwar ein gewisses Konkurrenzdenken, aber nicht mit solch negativen Emotionen, wie man es aus anderen Städten kennt. Der Weg vom Fortuna-Fan zum FC-Anhänger war und ist nicht weit. Das hat mit der Liebe zur Stadt zu tun.“ Eine Aussage, die auch auf Nationaltorwart Tim Wiese zutrifft. Der 27-jährige sieht seine Kölner Zeit als „optimalen Einstieg“. Der solidarischen Vereinsmitgliedschaft zum Trotz, hegt er jedoch insgeheim einen Wunsch: „Wenn ich noch mal im Rheinland spiele, dann beim 1. FC Köln. Dort wollte ich immer mal spielen, schon alleine wegen der Fans und des Stadions.“ Eine Aussage, die wohl selbst bei Klassengleichheit Bestand hätte. Präsident Ulonska: „Fortuna ist beliebt, jedoch nicht beliebt genug, um Fan von ihr zu werden.“ Eine Einsicht, die Vorgänger Löring wohl nur schweren Herzens über die Lippen gegangen wäre. Sorgte er doch „als Verein“ regelmäßig für Aufsehen. Losgelöst von Eskapaden wie den kurzweiligen Engagements von Bernd Schuster und Hans Krankl, oder der Halbzeitentlassung Toni Schumachers, hatte der Spitzenreiter der ewigen Zweitligatabelle stets etwas zu bieten. „Ich erinnere mich noch, dass nach einem Spiel gegen Uerdingen mein Gegenspieler Heiko Laessig quer bei uns durch die Kabine flog. „Jean“ Löring war fest davon überzeugt, dass seine Stollen regelwidrig waren und hatte ihm sogleich zwecks Beweisaufnahme den Schuh ausgezogen“, erzählt Dirk Lottner. Eine Anekdote unter vielen.

Mit dem finanziellen Niedergang des Kölner Patriarchen im Jahr 2001, ging allerdings der wichtigste Geldgeber verloren. Es folgte die beinahe Insolvenz und jahrelange Konsolidierung. Löring verstarb im März 2005 und mit ihm ein großer Teil der Fortuna.

Was „De Schäng“, wie Löring stets genannt wurde, im vergangenen Jahrhundert für den Klub war, ist der DFC heute. Die Abkürzung steht für „Dein Fußball Club“ und ist ein deutschlandweit einmalige Projekt, bei dem angemeldete Mitglieder gegen einen Jahresbeitrag über die Belange des NRW-Ligisten mitbestimmen können.

Über 10.000 Mitglieder zählt die DFC-Community bereits. Im Internet-Forum des Projektes findet reger Austausch zwischen Fortunen aus ganz Deutschland statt. Es scheint als sicher, dass der Sportclub ohne den DFC heute pleite wäre. Nach dem allmächtigen Mäzen Löring, hat sich also ein neuer Förderer der Fortuna angenommen. Dieses Mal jedoch nicht in Eigenregie, sondern in Form von basisdemokratischer Gemeinschaftsentscheidung. Mittelfristig ist es das Ziel des Projektes mit Fortuna Köln wieder im Profifußball vertreten zu sein. Das bedeutet mindestens Liga 3. Ein Ziel, das mit den derzeitigen Strukturen noch weit entfernt ist. Die Zweite Mannschaft spielt in der Kreisliga und die Erste tingelt zum Teil durch ganz Köln, um auf Rasen zu trainieren.

Mit dem Einstieg des DFC tauchten im Umfeld des Südstadtklubs erstmals Begriffe wie „Marketingkonzept“ oder „Sponsorenbindung“ auf. Durch die gestiegene Aufmerksamkeit erscheint der Traditionsverein nun auch wieder für jüngere Fußballfans attraktiv. Sie merken, es tut sich etwas bei der Fortuna.

Die Spieler gehen mit dem innovativen Geschäftsmodell gelassen um. „Ich bin häufig im Forum und besorge mir Informationen“, sagt Torjäger Kevin Kruth und fügt an, „durch das Projekt steht jeder im Fokus, es ist aber nicht so, dass wir ständig darüber diskutieren.“ Der 23-jährige Dürener erzielte in der letzten Saison 21 Treffer und hätte durchaus in eine höhere Liga wechseln können. Tradition und Hoffnung hielten ihn jedoch in der Südstadt. „Hier weiß ich, was ich habe. Die Stimmung bei den Spielen ist Wahnsinn. Die Fortuna hat eine riesige Perspektive und die Möglichkeit irgendwann in den bezahlten Fußball zurückzukehren.“ Sollte sich diese Chance tatsächlich ergeben, täte man gut daran, die Vergangenheit als mahnendes Beispiel anzusehen, da Sekunden bekanntlich über Jahre entscheiden können

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