PROJEKT
Wieder runterkommen
Bei Nachwuchsspielen passieren krasse Dinge. Beim Projekt "Zweikampfverhalten" trainieren Jugendliche, sich besser im Griff zu haben. Und auch ein HSV-Profi trainiert mit. Von Roger Repplinger

Trainer des Projekts Zweikampfverhalten

Beobachter: Normalerweise leitet Thomas Pieper das Training, doch heute hat Bastian Reinhardt übernommen
Foto Ulrike Schmidt



„Das ist dein Ball“, feuert der lange Blonde den kurzen Blonden an. Schlaksig sind sie beide. Der kurze Blonde heißt Christian, ist 14, spielt beim Horner TV (HTV) linker Außenverteidiger, und hat beim Spiel nach getreten. Drei Mal. „Wann war'n das noch mal?“, fragt Christian, „und gegen wen war'n das noch mal?“ Nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass es nicht mehr vorkommt. Oder nicht nicht mehr so oft.

Der lange Blonde spielt auch linker Außenverteidiger, und zwar beim Hamburger SV. Marcell Jansen, vor ein paar Tagen 24 geworden, ist der einzig Verhaltensauffällige hier, und wir, die wir draußen stehen, und uns das auf dem Platz des Horner TV angucken, sind der Meinung, dass der lange Blonde mindestens noch einen Kurs bei „Zweikampfverhalten“ braucht. Damit er mal ein bisschen runter kommt.

„Zweikampfverhalten“ wurde gegründet, weil in Hamburg bei Nachwuchsspielen krasse Dinge passieren. Es wird nicht mehr gefoult als früher, sagt Rebekka Salome Henrich, die pädagogische Leiterin, „aber die Qualität hat sich geändert“. Der Gegenspieler kriegt eine vor den Latz, auch mal der Schiedsrichter oder die Zuschauer. Und nach dem Spiel geht’s weiter. Was macht der Verband? Sperrt die Jungs. Was machen die Jungs? Haben kein Training mehr, keinen Trainer mehr, keine Mannschaft mehr, stehen auf der Straße. Bauen noch mehr Mist. Falscher Weg.

„Das sind keine bösen Jungs“, sagt Jansen, „sie haben ein problematisches Umfeld.“ Als sie zusammenstehen, und keiner zuhört, sagt er ihnen, dass sie das nicht als Entschuldigung für sich benutzen dürfen.

Ein Kurs bei „Zweikampfverhalten“ umfasst eine Auftakt- und eine Abschlussveranstaltung, ein dreitägiges Trainingslager und sieben Trainingseinheiten. Zwei Mal sind die Profis des HSV dabei, ansonsten leitet Thomas Pieper das Training. Ein Mal quatschen die Profis mit den Jugendlichen. Auch wichtig. Weil es ja auch in der Bundesliga fiese Gegenspieler gibt, die dich zu provozieren versuchen. Da muss man cool bleiben, auch nicht anders als in der B-Jugend-Bezirksliga. Und einmal trainieren die Profis mit den Jungs. Finanziert wird das Ganze vom „Hamburger Weg“, einer Initiative, die sich HSV-Vorstand Katja Kraus ausgedacht hat.

Der „Hamburger Weg“ geht so: Neun Hamburger Unternehmen zahlen in einen Topf ein, aus dem Projekte finanziert werden wie „Zweikampfverhalten“ und „Adebar“: Hier wird Schwangeren und jungen Familien in schwierigen Lebenslagen geholfen. Die „Mittagskinder“ sind auch ein Projekt des „Hamburger Wegs“: Kinder sozial benachteiligter Familien bekommen nicht nur ein warmes Essen, sondern auch Zugang zu Lernen, Bildung, Natur und Sport. In einer Stadt wie Hamburg, in der, weil die Kohle in Prestigeobjekte wandert, soziale Einrichtungen der Stadt geschlossen werden, geht es nur noch per Privatinitiative.

Bastian Reinhardt mit Jugendlichen

"Ein wichtiges Projekt": Bastian Reinhardt arbeitet gerne bei "Zweikampfverhalten" mit
Foto Ulrike Schmidt



Die Spieler des HSV wählen sich als Pate das Projekt aus, zu dem sie am besten passen. Bastian Reinhardt, dessen Fuß zuckt, der aber nach seinem Mittelfußbruch noch nicht gegen den Ball treten darf, und der deshalb die Trainerpfeife im Mund hat, ist Pate von „Zweikampfverhalten“. Bei den „Mittagskinder“ ist der begeisterte Vater Mladen Petric Pate, bei „Eisvogel“, einem Projekt des Naturschutzbundes, stehen Joris Mathijsen und Marcus Berg Pate.

Reinhardt findet, dass „Zweikampfverhalten ein wichtiges Projekt ist“, er „arbeitet gern mit Jugendlichen zusammen“ und will ihnen helfen „den richtigen Weg zu finden“. Was Reinhardt will ist nicht so wichtig. Was er kann ist wichtiger. Die Spieler können was erreichen, weil sie, anders als Eltern, Lehrer, Sozialpädagogen, Richter und Staatsanwälte, Kredit bei den Jungs haben. Ihnen wird geglaubt. Sie kommen nicht mit dem Zeigefinger, sondern mit dem Ball. „Das ist unser Spiel“, treibt Marcell seine Mannschaft nach vorne, „guter Schuss“. Abklatschen.

Die Jungs aus Horn und Farmsen sehen, „dass die ja gar nicht so sind, die Profis“, sagt Christian, „sondern nett und locker“, sagt Can. Nicht so viel anders wie sie.


Bastian Reinhardt bei Zweikampfverhalten

"Ich will keinen von euch hier wieder sehen": Bastian Reinhardt beendet das Training
Foto Ulrike Schmidt



Reinhardt hat gehört, dass die Sache funktioniert und die Jugendlichen, die bei „Zweikampfverhalten“ mitmachen, was kapiert haben, und ihr Verhalten ändern. Ist auch nötig. Der in den roten Torwartklamotten ist Miguel. Er ist Schuld, dass wir alle hier sind, weil er maßgeblich daran beteiligt war, dass der B-Jugendtrainer des HTV Jörg Cords in der Halbzeit eines Spiels sagte: „Entweder, ihr hört auf mit dem Scheiß, oder wir melden die Mannschaft ab.“ Eine schlimmere Drohung gibt's nicht. War ernst gemeint. Daraufhin surfte eine Mutter der Jungs im Internet und fand dort „Zweikampfverhalten“. Und nun wurden Henrich und Pieper zum ersten Mal von einem Club angefordert. „Warum nicht?“, fragt die diplomierte Sozialpädagogin Henrich, die auch Coolness- und Anti-Aggressionstrainerin und Diplomkriminologin ist.

Bei diesem Spiel, alle haben den Gegner vergessen, war Miguel mit einer fetten Roten Karte vom Platz geflogen. „Der Gegner ist mir an die Gurgel“, sagt er, „hier, so, und hat zugedrückt. Mir den Kehlkopf rein gedrückt. Da hab ich ihn, hm, weg geschubst.“ Bei der Verhandlung hat der Gegenspieler die Sache anderes dargestellt. Drei Monate Sperre. Oh Mann. Ein halbes Leben, wenn man 15 ist und im Tor steht.

„Ich will“, sagt Miguel, „die Aggression aus meinem Spiel heraus haben. Ich will ruhig bleiben“, sagt er, „das bringt nämlich mehr Spaß.“ Can sagt, dass man ruhig bleiben muss, auch wenn so ein Arsch „meine Mutter beleidigt“. Darf man „nicht drauf anspringen“, sagt Miguel, „sondern muss an was Schönes denken und sagen: Heute bin ich gut drauf, statt was zu machen.“ Schwer ist das. Schwer.
Heute sind Jungs aus Horn und Farmsen da. In Farmsen auch kein grüner Rasen, sondern Asche, wie hier in Horn, weil die Leute eben keine haben. Asche.

„Seitdem wir das Training haben“, sagt Trainer Cords, „hatten wir zwei Spiele.“ Eins 4:0 gewonnen, eins 0:4 verloren. Und? „Gut“, nickt Cords. Nicht mehr, dass sich die Jungs nach dem Spiel zum Hauen verabreden, um auszutragen, was auf dem Platz nicht ging.

Alle stehen im Kreis, Arme auf den Schultern des Nebenmannes, Bastian Reinhardt sagt den Jungs, nach zwei Stunden im Nieselregen: „Ich will keinen von euch hier noch mal sehen – klar?“ Klar Mann.

Projekt Zweikampfverhalten

Trainingskiebitze: Wenn ein Profi nach Hamburg-Horn kommt, ist das eine spannende Sache
Foto Ulrike Schmidt




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