INTERVIEW
„Ich kann Olli Kahn gut verstehen“
Die Schauspielerin Christiane Paul ist Anhängerin des FC Bayern München. Das ist für sie kein Spaß, sondern voller Ernst. Im Interview erzählt sie, wie Fußball ihr Leben beeinflusst. Interview Oliver Lück und Peter Unfried

Christiane Paul

"Ein bisschen irre bin ich bestimmt": Christianre Paul mag den Wahnsinn eines Oliver Kahn

Foto Fergus Padel



RUND: Frau Paul, es heißt, Sie seien Bayern-Fan. Bitte stellen Sie das richtig. Das kann nicht sein.
Christiane Paul: Warum denn nicht? Ich bin voll für Bayern!

RUND: Wir hätten einfach nicht gedacht, dass Sie der Typ sind, der es nötig hat, ein Fußballteam zu unterstützen, das immer gewinnt.
Christiane Paul: Da geht es Ihnen wie meinem Freund. Ich habe einen Schlüsselanhänger von Bayern. Und mein Freund weigert sich, den Schlüssel zu benutzen. Er sagt immer: „Das kann nicht wahr sein, dass du so einen Bayern-Anhänger hast!“

RUND: Hasst er die Bayern?
Christiane Paul: Nein, aber er ist Gladbach-Fan. Und Fan zu sein ist eben etwas Emotionales.

RUND: Warum sind Sie für Bayern?
Christiane Paul: Ich höre oft, dass viele Frauen nur für den FC Bayern seien, weil der Verein so erfolgreich sei und weil er Spieler mit Starappeal habe. Das seien die einzigen Spieler, die Frauen kennen.

RUND: Stimmt aber nicht?

Christiane Paul: Überhaupt nicht. Ich bin für Bayern, und das ist einfach so. Ich mag die Mannschaft und Leute wie Felix Magath, die ich für kompetent halte.

RUND: Was ist das Liebenswerte an Bayern?
Christiane Paul: Liebenswert kann man diesen Verein vermutlich wirklich nicht nennen. Ich finde es aber beeindruckend und bewundernswert, dass die Bayern über diesen langen Zeitraum ein so hohes Niveau halten können. Das eine ist das Geld, aber das andere ist die Mannschaftsführung. Um diese ganzen erstklassigen Spieler, diese „Diven“ und Individualisten so miteinander zu vereinen, brauchst du jemanden, der das kann. Vor allem fasziniert mich das Leistungsprinzip bei Bayern und ihre unglaubliche Professionalität.

RUND: Dann kommt jetzt bestimmt eine Hymne auf Oliver Kahn.

Christiane Paul: Jaaaa. Ich finde Oliver Kahn faszinierend. Er steht vollkommen für dieses Leistungsprinzip, und mich beeindruckt, wie er sich im Spiel fokussiert. Auch seine Aggressivität, und dieses eiserne Charisma kann ich gut verstehen.

RUND: Eisernes Charisma?
Christiane Paul: Mir fällt kein besseres Wort dafür ein. So wie er eben ist. Er will Höchstleistung bringen, alles andere scheint für ihn nicht zu zählen. Und er muss voll konzentriert sein, um in der einen entscheidenden Sekunde den Ball zu halten. Er ist Torwart. Das setzt, glaube ich, bestimmte Fähigkeiten und Charaktereigenschaften voraus. Ich mag auch Matthias Sammer, obwohl er manchmal so angestrengt wirkt. Sammer und Kahn haben natürlich etwas Verbissenes, aber das gefällt mir.


RUND: Die Hälfte Fußballdeutschlands kennt nichts Schlimmeres, als wenn die Bayern ein Spiel in letzter Sekunde noch herumreißen.

Christiane Paul: Und ich freue mich dann diebisch: Wenn die Bayern 65 Minuten gar nichts machen und dann in der 90. Minute das 1:0 schießen. Die bringen halt immer noch einen Joker.

RUND: Kann es sein, dass Sie für Bayern sind, weil Sie in Beruf und Leben auch die Prinzipien Leistung, Professionalität, maximaler Erfolg vertreten?
Christiane Paul: Sehr gut möglich. Wenn man Sachen macht, dann sollte man sie auch perfekt machen. Nehmen wir noch mal Kahn: Es gibt wenige, die so klare Ziele haben und sie so ehrgeizig verfolgen. Auch wenn andere sagen, dass er wahnsinnig ist; er steht dazu, dass er diesen Ball mit allen Mitteln festhalten will. Genau so muss man doch sein, und auch ein bisschen wahnsinnig. Künstler sind auch alle ein bisschen verrückt.

RUND: Mit Verlaub, Sie wirken überhaupt nicht durchgeknallt.

Christiane Paul: Ein bisschen irre bin ich bestimmt. Sonst könnte ich das, was ich mache, gar nicht so machen. Ich habe den Eindruck, die Ablehnung von Kahn spiegelt wider, dass Deutschland ein Problem mit extremen Leistungswillen und erfolgsorientierten Handeln hat. Wo alles hip und groovy sein soll, kommt so eine Einstellung nicht so gut an.

RUND: Reden Sie über die Bayern oder über sich?
Christiane Paul: Ich rede über den Neid, der sich gegen den FC Bayern richtet. Aber auch mir hat man früher immer vorgeworfen, dass ich so selbstbewusst und ehrgeizig sei. Natürlich habe ich einen starken Willen. Aber warum wird das oft so negativ betrachtet?

RUND: Fußball ist ein Spiel, zumindest in der Theorie. Kahns Verbissenheit steht im krassen Gegensatz dazu.
Christiane Paul: Das stimmt ja so nicht. Fußball ist nicht mehr nur ein Spiel, es ist ein gesellschaftliches Ereignis und das Spiegelbild von so vielen Dingen. Der Mann nimmt seine Position ernst, das finde ich schon okay.

RUND: Manchmal denkt man, Kahn parodiert sich selbst, wenn man ihn mit versonnenem Blick von „diesem waaaahnsinnigen Druck“ reden hört.
Christiane Paul: Okay, stimmt. Manchmal ist das schon ein bisschen viel.

RUND: In was für Momenten teilen Sie seine Aggressivität?
Christiane Paul: Ich habe mal meine Aggressivität an meinem Drucker ausgelassen.

RUND: Was hat er falsch gemacht?
Christiane Paul: Er hat nicht gedruckt.

RUND: Und?
Christiane Paul: Da habe ich ihn zertreten. Eigentlich hat er immer nur gedruckt, wenn er auf meinem Schoß stand. Dann war ich mal unter Zeitdruck. Ich musste eine Arbeit für die Uni abgeben. Ich hatte ihn schon zur Reparatur gebracht, und dann hat er immer noch nicht gedruckt. Und dann bin ich aggressiv geworden.

RUND: So gewinnt man aber keine Spiele.

Christiane Paul: Das ist richtig, es war ein Ausrutscher. Sonst stecke ich meine Energie auch in andere Dinge.

RUND: Träumen Sie von Kahn?
Christiane Paul: Oh nein. Ich träume zwar viel, aber nicht von Oliver Kahn. Ich finde ihn als Torwart toll, nicht als Mann. Sean Penn finde ich auch toll, aber auch nicht als Mann, sondern als Schauspieler. Von dem träume ich aber auch nicht.

Christiane Paul

"Ich habe einen starken Willen": Christiane Paul
Foto Fergus Padel



RUND: Wie gefällt Ihnen die andere Seite von Oliver Kahn, das Versagen im alles entscheidenden Spiel, dem WM-Finale 2002?

Christiane Paul: Das finde ich im Nachhinein schon fast wieder großartig. Unglaublich, dass Kahn den Ball da nicht festgehalten hat, dass er in diesem Moment versagt hat. Das hat die Figur Kahn in meinen Augen noch größer gemacht. Damit hat er gezeigt, dass man nicht immer 100 Prozent geben kann. Auch nicht, wenn es darauf ankommt.

RUND: Eine Tragödie?
Christiane Paul: Ja, damit war Kahn ein tragischer Held. Genau darum geht es doch im Leben. Aus tragischen Momenten zu lernen und diese zu leben.

RUND: Sie wuchsen in Berlin auf. Wie sind Sie als Kind zum Fußball gekommen? Hat Ihr Vater Sie zu Union oder Dynamo mit ins Stadion genommen?
Christiane Paul: Nein, ich habe zu DDR-Zeiten Fußball nicht im Stadion verfolgt.

RUND: Nie?
Christiane Paul: Irgendwann in den 80ern war ich mal mit meinem Vater bei einem Freundschaftsspiel, Rostock gegen Schalke. Ich war da elf oder zwölf. Es war kalt und total aufregend. Rostock hat 2:1 gewonnen. Das war in der DDR das einzige Mal. Ich habe aber mit meinem Vater viel geguckt, vor allem WM und EM.

RUND: Die DDR hat doch gar nicht mitgespielt.
Christiane Paul: Wir waren für die Bundesrepublik, war doch klar.

RUND: Wie sehr bestimmt Fußball Ihren Alltag?
Christiane Paul: Es ist schwieriger für mich geworden, Fußball zu verfolgen. Ich mache vieles nicht mehr, was ich bis vor dreieinhalb Jahren ohne Kind gemacht habe.

RUND: Was hat sich geändert?
Christiane Paul: Die Radiokonferenz am Wochenende kann ich nicht hören, weil meine Tochter Radio doof findet und lieber Musik hört. Bei der „Sportschau“ ist es genauso, und beim „Aktuellen Sportstudio“ bin ich oft schon zu müde.

RUND: Vermissen Sie etwas?
Christiane Paul: Auf jeden Fall. Ich merke, wie mir dadurch Grundlagenwissen verloren geht. Ich nutze jede Gelegenheit, wenn ich unterwegs bin, bei einem Dreh zum Beispiel, um in aller Ruhe doch mal Sportschau zu gucken. Ich will jetzt auch unbedingt wieder ins Stadion gehen. Das schaffe ich auch nicht oft.

RUND: Ist Fußball mehr als Unterhaltung, Frau Paul?
Christiane Paul: Nein. Ich glaube, dass Fußball letztendlich nur Unterhaltungswert hat. Er wird aber oft benutzt, um viele Dinge zu erklären.

RUND: Zum Beispiel?
Christiane Paul: Mein Vater ist Arzt. Wenn man operiert und die Konzentration nachlässt, kann man ja auch nicht einfach aufhören. „Ein Spiel dauert 90 Minuten“, sagt er dann, „und so lange dauert das jetzt hier, bis wir fertig sind, und nicht eher kann man abtreten.“ Das habe auch ich vom Fußball gelernt: Wenn du eine Sache richtig machen willst, kannst du erst aufhören, wenn sie wirklich erledigt ist.

RUND: Sie haben mal gesagt, dass Sie im Gegensatz zu früher heute lieber den Sportteil als den Politikteil der Zeitung lesen. Sie seien froh, wenn Sie Ihre eigenen Probleme halbwegs in den Griff bekämen.
Christiane Paul: Das ist ein typisches Zeichen unserer Zeit, dass man mehr und mehr nur auf sich selbst achtet. Ich könnte mir aber schon vorstellen, eine Position mit mehr Verantwortung innerhalb der Gesellschaft zu übernehmen. Die wenigsten sind sich ihrer Verantwortung im privaten wie im großen gesellschaftlichen Rahmen bewusst. Dabei wäre das ganz wichtig. Schauspielerei ist natürlich nicht unbedingt etwas gesellschaftlich Relevantes.

RUND: Sie engagieren sich doch, zum Beispiel gegen Aids.

Christiane Paul: Ja. Durch die Schauspielerei hat man als öffentliche Person die Möglichkeit und vielleicht auch die Pflicht, gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Wenn Britney Spears auf MTV sagt, dass man keine Drogen nehmen soll, beeinflusst sie die Kids. Aber eigentlich finde ich es eher traurig, dass Politiker, Philosophen, Schriftsteller, Leute, die wirklich etwas zu sagen haben, so sehr in den Hintergrund geraten sind. Die Stützen der Gesellschaft werden gar nicht mehr genutzt. Dafür werden so viele Leute in die Medien gezerrt, die gar nicht wichtig sind. Sie werden Helden der Zeit, obwohl sie nichts tun, was wirklich Inhalt hat.

RUND: Sie meinen Fußballer?
Christiane Paul: Nicht nur, auch Sänger, Schauspieler, Menschen, die nur kennzeichnet, dass sie prominent oder populär sind. Ich nehme mich da nicht aus. Schlimmstenfalls. Warum muss ein Fußballer über andere Dinge reden, für die er sich überhaupt nicht interessiert und mit denen er sich noch nie auseinandergesetzt hat? Fußballer sind Fußballer. Und das sollen sie auch bleiben. Muss überhaupt immer über alles geredet werden?

RUND: Und das sagt eine Frau? Wir, zum Beispiel, reden mit Ihnen, um zu sehen, wie der Fußball in einem bestimmten kulturellen Milieu angekommen ist und wahrgenommen wird. Wird mehr über Fußball geredet als früher?
Christiane Paul: Ich glaube schon. Ich hatte zum Beispiel neulich einen Tonangler beim Dreh, der Gladbach-Fan war, und wir haben uns die ganze Zeit über Fußball unterhalten. Der verantwortliche Tonmann hat voll die Krise bekommen, weil wir einfach nicht aufhören konnten.

RUND: Sind auch Kollegen überrascht, wenn Sie ihnen mit Fußball kommen?

Christiane Paul: Manche sind schon überrascht. Man verbindet das nicht mit mir.

RUND: Ist die Hinwendung zum Fußball auch eine Art Rückzug?
Christiane Paul: Wie meinen Sie das?

RUND: Wie Sie sagten: Von den Politikseiten auf die Fußballseiten.
Christiane Paul: Sagen wir so: Beim Fußball kann man für etwas sein. Man kann mit einer Mannschaft fiebern.

RUND: Sonst nicht?
Christiane Paul: Sonst weiß man doch gar nicht mehr, für was man sein soll. Man kann doch heute nicht mehr sagen, dass man hinter diesem oder jenen Politiker steht. Das ist doch vorbei. Wir wissen gar nicht mehr, was die eigentlich machen. Nicht nur, weil wir uns auf deren Aussagen nicht mehr verlassen können, auch weil wir ihr Handeln im global-politischen oder global-wirtschaftlichen Zusammenhang nicht mehr beurteilen können. Das überfordert die Leute.

RUND: Sie auch?
Christiane Paul: Auch ich erlebe da eine Resignation. Ich kann diese Dinge nicht beeinflussen. Was soll ich machen, wenn der iranische Präsident mit Atomwaffen droht oder irgendwelche religiös-fanatischen Hetzreden gegen Israel hält? Natürlich denke ich: Das darf doch nicht wahr sein. Aber letztendlich resigniere ich. Fußball ist da viel überschaubarer, weil es klare Regeln gibt.

CHRISTIANE PAUL wurde am 8. März 1974 in Berlin-Pankow geboren. Ihr Vater ist Facharzt für Orthopädie und Chirurgie, die Mutter Anästhesistin. Paul selbst schloss ihr Medizinstudium im Fachgebiet Chirugie ab und arbeitete bereits als Ärztin. Sie spielte in über 20 Kino- und TV-Filmen, unter anderem „Im Juli“, „Knockin’ on Heaven’s Door“, „Das Leben ist eine Baustelle“, „Workaholic“ oder „Die Häupter meiner Lieben“.

Das Interview ist in RUND #9_04_2006 erschienen

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