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„Der DFB hatte überhaupt keinen Bock auf uns“
Am Millerntor widmeten ihm die Fans das T-Shirt: „Volker, hör die Signale“. Volker Ippig über die Hafenstraße und das Pressing von Ernst Happel. Interview Matthias Greulich



Volker Ippig
"Wir waren Außenseiter":Volker Ippig
steht in der Nähe des Millerntor-Stadions Foto Matthias Greulich

 

Flutlichtspiel am Hamburger Millerntor. In den Kneipen im Viertel stimmen sich die Fans bei den ersten Astra-Knollen ein. Den drahtigen Mann, der sich nach einer anstrengenden Schicht im Hafen einen Milchkaffee bestellt hat, beachten sie nicht. „Wenn es in der Mannschaft passt, ist bei St. Pauli alles möglich“, weiß Volker Ippig um die Mechanismen, die beim Kiezklub im Erfolgsfall zu greifen pflegen. Es geht immer wieder hoch hinaus, anschließende steile Abstürze bis hinunter in die dritte Liga nicht ausgeschlossen – „aber besser als immer nur so herumzudümpeln“, sagt Ippig, der mit Unterbrechungen von 1981 bis 1991 das St. Pauli-Tor hütete. Der schwarze Block auf der Gegengeraden, Punks, Künstler und Studenten jubelten ihm zu, wenn er sie mit erhobener Arbeiterfaust begrüßte. Das T-Shirt „Volker, hör die Signale“ aus dem Fanladen verkaufte sich prächtig. Der Torwart stand gegen den Mainstream, hörte Punkmusik und sympathisierte offen mit der Hafenstraße. Wer links dachte, konnte sich fortan bei St. Pauli heimisch fühlen.


RUND: Volker, momentan scheint ganz Deutschland seine Sympathien für den FC St. Pauli zu entdecken. Wie war es, als du in der Bundesliga am Millerntor im Tor gespielt hast?

Volker Ippig: Wir waren Außenseiter. Der DFB hatte auf uns überhaupt keinen Bock. Alles, wofür der FC St. Pauli damals gestanden hat, ist mittlerweile Mainstream. Auch beim DFB. Merkwürdig. Weil es politisch korrekt und gesellschaftlich anerkannt ist. Der DFB ist ein Verein alter Säcke. Grauenhaft.

RUND: Wodurch habt ihr diese Abneigung zu spüren bekommen?
Volker Ippig: Ohne zu übertreiben muss ich sagen, dass die Schiedsrichter immer gegen uns gepfiffen haben. Es gab keinen Schiedsrichter, der Sympathien für uns gehabt hätte. Gab es nicht. Wenn der Ball auswärts neben dem Tor landete – es gab noch keine Balljungen – bin ich dem Ball hinterher gelaufen. Und wenn du nicht im Sprint hinterher bist, hattest du schon fast eine Gelbe Karte. Beim gegnerischen Keeper war das egal.

RUND: Mit deinen politischen Ansichten konnten deine Kollegen damals nicht viel anfangen. Welchen deiner Mitspielern hast du damals in die Hafenstraße mitgenommen?
Volker Ippig: Bernhard Olck war das. Da haben wir im Otto (die Kneipe Onkel Otto, Anm. d. Red.) ein Bier getrunken. Er war ganz erstaunt, dass das auch Menschen sind, die da ein Bier trinken. Und nichts anderes.

RUND: Für das Establishment wohnte dort das Böse, wie es das St. Pauli-Magazin „1/4 NACH5“ im Rückblick ironisch bezeichnete.
Volker Ippig: Zu der Zeit war es fast wie Krieg. Es ging richtig ab. War immer die Angst vor der Räumung. Es gab immer Druck. Ätzend. Es gab Barrikaden. Durch meine Zeit in Nicaragua bin ich näher mit den Leuten dort in Kontakt gekommen.

RUND: Wie wurden die Bewohner St. Pauli-Fans?
Volker Ippig: Als wir Oberliga Nord gespielt haben, konnten die eigentlich nicht soviel damit anfangen. Nachher wurde es kleckerweise mehr. Fußball ist Volkssport. Und da war Volk. Man darf auch nicht vergessen, dass es immer eine nette Party war.

RUND: Mit 19 warst du schon Torwart in der ersten Mannschaft und hast für den Klub in der dritten Liga gespielt.
Volker Ippig: Ich habe damals Abi gemacht. Auf dem Wirtschaftsgymnasium St. Pauli. Wir haben unter der Woche am Millerntor trainiert. Auf dem Platz. Der damalige Trainer Michael Lorkowski ist mein absoluter Förderer gewesen. Ohne Lorko wäre ich nichts geworden. Er hat mich spielen lassen.

RUND: Du hast beim damaligen Präsidenten Otto Paulick an der Elbchaussee gewohnt.
Volker Ippig: Sonst wäre das gar nicht möglich gewesen, weil ich ja aus Lensahn nach Hamburg kam. Ich bin mit dem Fahrrad zur Elbchausse gefahren. Ecke Hohenzollernring und 300 Meter hoch. Direkt gegenüber von Oevelgönne. Ich bin auch mal schwarzgefahren im 36er-Bus. Der hält direkt an der Elbe. Auch ab und zu mal erwischt worden. Lässt sich ja nicht ändern.

RUND: Deine Mitspieler trugen Popper-Frisuren. Du hattest kurze Haare.
Volker Ippig: Als ich in die A-Jugend kam, waren 50 Prozent Popper. Mindestens. Und dann die anderen 45 Prozent Annäherungspopper. Schicke und teure Klamotten. Bundfaltenhosen, diese Troddel-Schühchen. Ich kam vom Land und hatte davon überhaupt keine Ahnung. Und auch gar nicht das Geld. Da konntest du gar nicht mithalten. In der Schule war es zum Glück anders. Da konntest du auch als Normalo durchgehen.

RUND: Wie haben dich die St. Paulianer aufgenommen?
Volker Ippig: Es war immer sehr herzlich bei St. Pauli. Unser Zeugwart Milewski und die ganzen Alten, das war eine Familie. Nach einer gewissen Zeit kanntest du jeden. Milewski hat mich immer „Greifer“ genannt, das tat mir gut. Und sportlich war es bei St. Pauli auch ein Sprung für mich: In Schleswig-Holstein hatte ich nie in irgendeiner Auswahl gespielt. Nachdem ich ein paar Spiele bei St. Pauli machte, wurde ich sofort in die Hamburger Auswahl berufen.

RUND: Wie war es um die Rivalität zum HSV bestellt?
Volker Ippig: Es war ein normales Verhältnis. Wir haben in der Vorbereitung oder im Winter immer mal wieder ein Spiel gegen den HSV gemacht, wo dann Horst Hrubesch und Konsorten mitgespielt haben. Ohne großes Theater, niemand sagte „Was wollen die hier?“ Sportlich war es lehrreich: Die haben uns einfach zugestellt. Es gab einfach keine Anspielstation. Kannst du dir das vorstellen? In unser Liga gab’s das nicht und in der Bundesliga auch noch nicht. Ich hatte den Ball beim Abstoß und alles war zugestellt. Eine irre Situation. Alle von uns standen und guckten mich an. Ich habe den Ball dann irgendwie weggepöhlt. Den kriegte irgendein HSV-Spieler dann auf den Kopf. Ernst Happel war damals revolutionär mit seinem Pressing. Das war 1983. Zu dieser Zeit ließ man den Gegner erstmal kommen. Die gingen drauf und machten Pressing. Beeindruckend.

RUND: Nach dieser Saison hast du dir eine Auszeit genommen.
Volker Ippig: Ein Jahr habe ich Praktikum gemacht. Anschließend habe ich ein halbes Jahr mittrainiert, da waren wir in der 2. Liga. Ich spielte bei der 2. Mannschaft, da haben wir in der Verbandsliga außer Konkurrenz gespielt. Helmut Schulte hat Vorstopper gespielt. Das andere halbe Jahr war ich dann in Nicaragua. Als ich 1985 wiederkam, waren wir abgestiegen. Wir waren wieder 3. Liga. Ich trainierte mit. Aber es ging nicht mehr. Ich hatte wirklich Stress gehabt. Bin mehr oder weniger rausgeschmissen worden. Den Rest der Saison habe ich bei Lensahn gekickt, bin mit denen das erste Mal in die Landesliga aufgestiegen, was aber auch nicht besonders ergiebig war. Was machst du jetzt? Ich hatte gehört, dass Willi Reimann Trainer wird. Habe bei Otto Paulick angerufen, ob ich wieder anfangen könnte. Der sagte, das musst du mit Willi klären. Ich habe mich mit Willi in Norderstedt getroffen. Er kannte mich und hat gesagt, dass ich wieder mitmachen darf.

RUND: Dann ging es richtig ab.
Volker Ippig: Wir wurden gleich Dritter in der 2. Liga. Ich habe zwölf Spiele gemacht und die Pokalspiele. Im Pokal gegen den HSV haben wir richtig auf den Sack gekriegt: 0:6. Nach dem Spiel war ich wieder draußen. Willi Reimann wechselte dann zum HSV und Helmut Schulte hat mich wieder ins Tor gestellt. Wir wurden Zweiter und stiegen direkt in die Bundesliga auf. Es kamen immer mehr Zuschauer, weil wir erfolgreich und gut spielten. Drei Jahre Erste Liga. Dann ein Jahr Zweite Liga. Und tschüß. Das dritte oder vierte Mal war mein Rücken kaputt gewesen. Da ging nichts mehr. Heute wäre das wahrscheinlich kein Thema, damals bei St. Pauli war da nichts zu machen. Es war alles nicht so professionell.

Volker Ippig"Bei St. Pauli ist alles möglich": Volker Ippig steht in der Nähe des Millerntor-Stadions Foto Matthias Greulich

 

RUND: Traust du der aktuellen Mannschaft den Aufstieg in die Bundesliga zu?
Volker Ippig: Wenn es in der Mannschaft passt, ist bei St. Pauli alles möglich. Als wir im dritten Jahr aus der Bundesliga abgestiegen sind, hat es nicht mehr gepasst. Dann hat St. Pauli nicht die Substanz, um gute Leute zu holen. Es geht dann auch mal heftiger nach oben oder unten. Aber lieber so, als immer nur herumzudümpeln.

RUND: Du verdienst dein Geld seit letztem Jahr im Hafen. Ein harter Job.
Volker Ippig: Ich bin nicht mehr bei den Laschern. Jetzt bin ich Schuppen 48, am Unikai. Bei der Autoverladung. Wir fahren die Autos herunter. Alles was von Land kommt, fahren wir auf die Stellplätze und andere Leute fahren sie rauf aufs Schiff. Die Arbeit bekommt mir richtig gut. Am Anfang war es wie ein Trainingslager. Die ersten vier Wochen. Man fährt zwar den ganzen Tag Auto, aber immer nur kurze Strecken. Aussteigen, Einsteigen, Aussteigen, Einsteigen. Auf die Wagen klettern. Hochklettern. Die Autos losschmeißen. Du bist immer nur unterwegs. Gefällt mir gut im Hafen. Wenn Arbeit da ist, musst du auch anpacken. Richtig Stoff geben, nicht schludern oder langsam machen.

RUND: Du brauchst die körperliche Herausforderung?
Volker Ippig: Wenn ich mich nicht bewege, geht’s mir nicht gut. Das ist durch den Fußball noch in mir drin. Wenn ich zuviel Ruhe habe, werde ich lethargisch und komme schlecht drauf. Dadurch, dass man wenig Fett ansetzt, bleibt man auch körperlich fitter. Jedes Kilo, das ich zuviel habe, merke ich im Rücken. Im Juli hatte ich einen Arbeitsunfall im Hafen. Ich wurde vom Stapler mit der Hacke auf die Türnocke gedrückt und bin vier Monate ausgefallen. Jetzt ist es einigermaßen wieder annehmbar. Du musst darum kämpfen, wieder fit zu werden. Ohne die tolle Reha, die es beim Fußball gibt.

RUND: Spielst du noch in der Traditionsmannschaft des FC St. Pauli?
Volker Ippig: Schon lange nicht mehr. Seit ich mitgekriegt habe, dass Leute Fahrgeld bekommen haben, die außerhalb von Hamburg wohnen. Ich bin immer von außerhalb gekommen und habe nie etwas gekriegt. Da habe ich gesagt, macht es doch alleine.

RUND: Bist du noch manchmal im Millerntor-Stadion?
Volker Ippig: Gar nicht.

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