STARGAST
Held in langen Hosen
Der Torhüter Carlos Kameni kommt aus Kamerun, spielt beim spanischen Erstligisten Espanyol Barcelonas und war mit 16 bereits Olypiasieger. Von Ronald Reng.

Carlos Kameni

Im Tor Kameruns: Carlos Kameni
Foto Pixathlon

Das Interview beginnt mit ungeahnten Schwierigkeiten. Luca, der zweijährige Sohn von Carlos Kameni, entführt Kugelschreiber und Notizblock des Reporters. „Luca!“, ruft Kameni ihm noch hinterher, aber der Junge ist auf seinen wackligen Beinen schon aus der Tür des Kabinentrakts auf dem Trainingsgelände des spanischen Uefa-Cup-Starters Espanyol Barcelona. Zum Glück hat Luca allerdings den Rekorder übersehen. So kann doch noch dokumentiert werden, was sein Vater erzählt.

Er bedarf, zumindest in Deutschland, einer Einführung: Carlos Kameni, 21, aus Kamerun, acht Geschwister. Einen Fußball hat er nie besessen, der Vater duldete keinen im Haus. Die Kinder sollten lernen. Olympiasieger mit 16, Held des Elfmeterschießens in jenem Finale von Sydney 2000 gegen Spanien. Afrikas Torwart des Jahres. Eine Sprungkraft, eine Explosivität - phänomenal. Ein leiser, freundlicher Mann, der in sich ruht, noch immer so jung und doch schon altersweise. Denn er wurde bereits als Kind erwachsen: Mit 13 ging er nach Frankreich, allein, ins Fußballinternat in Le Havre. Carlos Kameni. Schon bald wird manch einer sagen: der beste Torwart der Welt.

„Guten Morgen!“, sind seine ersten Worte, was nicht nur überrascht, weil es schon Mittag ist, sondern vor allem, weil er sie auf Deutsch sagt. Ein kleines Erbe aus der Zeit, als Winfried Schäfer Kameruns Nationaltrainer war und Kameni, mit 19, beim Afrikacup das Tor anvertraute. „Er erinnert mich an Oliver Kahn“, sagte Schäfer.

An gute Torhüter denkt man nicht zwangsläufig, wenn von Afrika die Rede ist, einem Kontinent, der das Dribbling vergöttert. Doch war der erste afrikanische Weltklassefußballer ein Torwart: Thomas N’kono mit den langen Hosen. Bei der WM 1982 in Spanien ließ er in der Vorrunde gegen Italien, Peru und Polen nur ein Tor zu, keine Niederlage: Thomas N’kono aus Kamerun, der in der sengenden spanischen Hitze lange Torwarthosen trug, weil er es sich auf den steinigen Sportplätzen zu Hause so angewöhnt hatte. Er war das Gesicht, das Afrikas Aufstieg im Fußball ankündigte. 23 Jahre hat es gedauert, bis wieder ein Weltklassetorwart aus Afrika kommt. Man nennt es wohl Schicksal, dass sein Mentor Thomas N’kono ist.

Espanyol verpflichtete N’kono spontan während der WM 82, er wurde eine Legende des kleineren von Barcelonas zwei Erstligisten und nach Ende seiner Karriere dort Torwarttrainer. Er war es, der Kameni vor anderthalb Jahren zu Espanyol brachte, aus Le Havre, wo der Trainer des französischen Zweitligisten Kamenis Jugend nicht traute und ihn auf der Ersatzbank sitzen ließ. In Barcelona gaben sie Kameni das Gehalt eines Ersatztorwarts; das, dachten sie, wäre er. Als die vergangene - seine erste - Saison bei Espanyol begann, hatte er den belgischen Nationaltorwart Erwin Lemmens aus dem Tor gedrängt, und die Fachwelt begann zu staunen. „Er gehört schon zu den besten Europas“, sagt N’kono. „Nun muss er seinen Status bestätigen. Es gibt noch Situationen, wo er zu lange zögert.“

N’kono beeinflusste Kamenis Karriere schon, als sie sich noch gar nicht kannten. „Er war mein Idol. Ich sah ihn kaum spielen, denn einen Fernseher hatten wir nicht. Aber meine Eltern – sogar meine Mutter! – erzählten mir von ihm“, sagt Kameni. Noch heute zollt er N’kono in jedem Training Tribut: Ihm zu Ehren trägt er lange Hosen. „Bloß in den Spielen lassen sie es mich nicht. Lange Hosen sind in der spanischen Liga verboten.“ - „Dagegen müssen wir klagen!“, sagt N’kono lachend. Gerne tut er so, als sei die Verehrung seines Schülers nichts Besonderes. Italiens Nummer eins, Giggi Buffon, etwa „wurde doch auch Torwart, weil er mich 1982 sah“.

Carlos Kameni

Frühreif: Erst 16 Jahre alt war Carlos Kameni, als er 2000 in Sydney Gold mit Kamerun gewann
Illustration Toni Schröder


Beim Interview trägt Kameni das Trikot Kameruns. Mit der Nummer 54 - es ist eines jener T-Shirts im Fußballstil, die heute als modern gelten. Ein Landsmann hat es ihm am Morgen geschenkt, er hat es gleich angezogen. Aber es bleibt sein wunder Punkt: dass sie ihm das Nationaltrikot genommen haben. Für die abschließenden zwei Qualifikationsspiele zur WM 2006 lud ihn Kameruns Nationaltrainer Artur Jorge nicht ein. Es war ein wirres, persönliches Drama, das im großen Ganzen unterging, als Kamerun in der letzten Minute des letzten Spiels gegen Ägypten einen Elfmeter verschoss und die WM verpasste. Öffentlich sagt Kameni, Jorge habe ihn gestrichen, weil er, der Torwart, bei einem Trainingslehrgang im August fehlte. Öffentlich log Jorge, Kameni sei nicht dabei, weil er verletzt war. Ehrlich gesagt, sagt N’kono, war es wohl eine sportliche Entscheidung des Trainers, nachdem Kameni im Hinspiel gegen Ägypten drei Tore kassierte. Dass es eine Wahnsinnsentscheidung Jorges war, ohne den besten Torwart Afrikas die WM zu verspielen, sagt niemand. Es denken nur viele.

Kameni sagt: „Das mit der Nationalelf wird sich regeln.“ Er hat gelernt, Nackenschläge stoisch auszusitzen. „Wenn du aus Afrika kommst, bist du hart im Geiste, um dich gegen das Leben zu wappnen. So war ich, als ich mit 13 fortging, so bin ich heute: Ich vertraue in meine Kraft, ich “ - hier endet das Interview mit einem Knall. Luca ist zurück und hat den Tonbandrekorder auf den Boden geworfen.

Der Text ist in RUND 5_12_2005 erschienen.

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