INTERVIEW
„Normales Tempo ist mir zu langsam"
Sibel Kekilli weiß, was es heißt, der Öffentlichkeit ausgesetzt zu werden. Die Schauspielerin über den fehlenden Mut türkischer Fußballer, die Integration in Deutschland und was ihr an Lukas Podolski gefällt Interview Matthias Greulich und Eberhard Spohd




Sibel Kekilli

Fan von Besiktas Istanbul: Sibel Kekilli
Foto Antonina Gern




Frau Kekilli, in dem Film „Gegen die Wand“, der bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann, haben Sie die Hauptrolle gespielt, eine türkische Frau, die zum Schein heiratet, um ihre Freiheit zu behalten. Damit haben Sie unter anderem etwas öffentlich gemacht, über das in selten geredet wird: die Stellung der Frauen in der türkischen Community in Deutschland. Hat sich diese Provokation gelohnt?

Ganz bestimmt. Ich habe gelesen, dass nach diesem Film Eltern mit ihren Töchtern über den Film geredet haben. Das gab es vorher eigentlich nicht, dass in der Familie überhaupt über Sexualität gesprochen wird. Der Film hat ziemlich polarisiert. Manche haben sich so angesprochen gefühlt, dass sie uns wirklich gehasst haben, sowohl den Regisseur Fatih Akin als auch mich. Ich finde, dass der Film nicht übertrieben ist. Er musste genau so sein. Alleine wie die Männer sich unterhalten, in der Szene am Kartentisch, so reden die auch wirklich, wenn sie unter sich sind.

Die Männer sitzen da, spielen Karten und reden über deutsche Frauen, die sie als Schlampen bezeichnen ...
... und plötzlich schwenkt es um, als eine ihrer Ehefrauen hereinkommt. Da reden sie als Tarnung plötzlich über Fußball und Galatasaray, weil die Frauen denken, dass sie sowieso nur über Fußball reden.

Gehen türkische Frauen mit zum Fußball?
In Deutschland sicherlich weniger als in der Türkei. Aber auch dort sind die Männer in der Überzahl.

Haben Sie sich jemals ein Spiel angeschaut?
Welt- und Europameisterschaften schaue ich sehr gerne, besonders, wenn es spannend wird, mit Verlängerung und Elfmeterschießen. Aber ich bin Anhänger von Besiktas Istanbul. Früher habe ich die türkische Süper Lig immer mit meinem Vater angeschaut, besonders wenn Besiktas gespielt hat.

Wegen der engen Beziehung zu Ihrem Vater?
Auch. Seinetwegen war ich von Kind an Fan. Ich wollte immer wie ein Junge sein und mein Vater hat mich auch wie einen Jungen erzogen. Aber auch der Fußball hat mich interessiert.

Wen fanden Sie gut bei Besiktas?
Alpay war auf jeden Fall dabei. Auf ihn war ich aber auch mal sauer, als er diesen Fairplaypreis bekommen hat. Da hat er vom Gegner ein Tor reinbekommen, weil er darauf verzichtet hatte, ihn zu foulen. Bei den türkischen Fußballspielern hat mich genervt, wenn sie ins Ausland gewechselt sind und dann nach kurzer Zeit heulend wieder zurück in die Türkei gekommen sind. Hakan Sükür war doch in Italien und ging wieder zurück zu Galatasaray. Er hatte so eine tolle Chance bekommen und sie nicht genutzt.

Erinnern Sie sich an besondere Spiele?
Zum Beispiel an das Endspiel Deutschland gegen Argentinien mit Maradona. Als die Deutschen noch die hässlichen Trikots trugen, Vokuhila-Frisuren hatten und Rudi Völler selbst noch spielte. Alle Verwandten saßen zusammen, und ich muss ehrlich sagen, dass wir den Argentiniern die Daumen gedrückt haben.

Warum?
Weil die Deutschen immer erst Gas geben, wenn sie ein Tor kassieren. Oder sie haben Glück. Oder der Schiedsrichter ist blind. (lacht)

Waren Sie schon im Stadion?
Nein, nie. Ich wollte immer, aber irgendwie habe ich es nie geschafft. Wir sind in Istanbul mal am Besiktas-Stadion vorbeigefahren. Aber wir haben in Heilbronn gelebt, das war immer weit weg von Spielen von türkischen Mannschaften. Ich würde gerne Karten zur WM haben, wenn die schon in Deutschland stattfindet.

Zu wem stehen Sie, wenn Deutschland gegen die Türkei spielt?
Ich glaube, ich wäre für die Türkei. Das wäre wie bei der WM 2002. Da sind wir, nachdem die Türkei Dritter geworden ist, im Autokorso durch Heilbronn gefahren, so richtig peinlich. Wir haben drei bis vier Stunden lang gehupt und waren die letzten auf der Straße. Und mein deutscher Freund war auch dabei - als Fahrer.

Also fasziniert Sie Fußball doch.
Natürlich. Und zwar tatsächlich der Sport. Ich war echt überrascht, als eine Freundin und Klassenkameradin sagte: Ich schaue mir das nur wegen der Männer an. Das finde ich furchtbar.


Können Sie Fußball spielen?
Ich habe für ein Casting mit dem Ball geübt. Ich konnte den Ball – ohne ihn mit den Händen zu berühren – mit der Fußspitze auf den Fuß stellen. Ich weiß aber nicht, ob ich das noch kann.

Was geht gar nicht bei Fußballern?

Kahn mit dem Beutelchen unterm Arm. Furchtbar. Er ist für mich kein Vorbild, weil er ziemlich aggressiv ist. So etwas mag ich überhaupt nicht. Er greift auch Spieler des Gegners an. Das finde ich nicht in Ordnung.

Sie sind gegen Aggressivität?

Ja, in jeder Hinsicht. Es passt einfach nicht, wenn man vor der WM an die Fans appelliert, sie sollen friedlich und fair sein und die Spieler dann auf dem Platz so aggressiv sind. Was soll ich als Fan dann denken? Wenn der das kann, kann ich das auch. Und der prügelt sich dann auf der Tribüne und plötzlich ist eine Massenschlägerei in Gange.

Wie fanden Sie den legendären Wutausbruch von Rudi Völler gegenüber Waldemar Hartmann?
Rudi Völler hat sich damals zu Recht aufgeregt. Delling und Netzer standen im Studio und haben nach dem Spiel immer auf ihm rumgehackt. Immer wurde nur draufgehauen. Immerhin ist Deutschland bei der WM Zweiter geworden, und die Leute haben die Spieler nach der Rückkehr gefeiert. Ich fand den Ausbruch von Völler sympathisch, während die Ex-Fußballer nur dastehen und blöde Sprüche machen. Wen sie alles besser wissen sollen sie sich einen Ball nehmen und selber spielen.

Wen finden Sie außer Völler sympathisch?

Lukas Podolski. Ich habe übrigens gelesen, dass er Falschmeldungen von Boulevardmedien auf seiner Website richtig stellt. Ich finde es gut, dass sich mal einer wehrt.

Schwindet die Macht der Boulevardzeitungen?
Gott sei Dank gibt es seriöse Medien. Wenn Podolski gut spielt und sein Privatleben aus der Öffentlichkeit heraushält, kann die Boulevardpresse machen was sie will. Wenn er sich dagegen wehrt, kriegt er noch mehr Respekt von anderen Leuten. Er ist wirklich nicht von denen abhängig.

Als Prinz Poldi wird Lukas Podolski wie ein Popstar gefeiert. Sind die großen Stars also heute eher auf dem Fußballplatz als beim Film?
Ja, ich denke doch. Schauen Sie sich nur Ballacks Werbeverträge mit Adidas, T-Com und McDonald’s an. In Deutschland kennt jeder Ballack und Kahn. Ich finde das sind die wahren Stars hier in Deutschland und nicht nur hier.

Nuri Sahin, der Jungstar von Dortmund, ist in der Türkei ein Star, weil er sich gegen die deutsche und für die türkische Nationalmannschaft entschieden hat. Was könnte den Ausschlag für die Entscheidung gegeben haben?

Wenn der Vater noch den türkischen Pass hat, türkisch eingestellt ist wird er natürlich sagen: Mein Kind spielt für unser Land, obwohl es in Lüdenscheid lebt. Da sind aber zum Teil auch die Deutschen schuld. Ich merke das auch immer wieder. Anfangs habe ich nur türkische Rollen angeboten bekommen. Mir wurde sogar schon ein Drehbuch zugeschickt und dazu geschrieben: Wir haben für dich die Rolle in eine Türkin umgewandelt. Fragt man mich, ob ich das möchte? Wo leben wir denn? Ich kann perfekt Deutsch. Seitdem ich in der Öffentlichkeit stehe merke ich es noch mehr. Es heißt immer, ich sei Türkin oder Deutsch-Türkin. Aber als wir den Goldenen Bären gewonnen haben war es dann eher doch deutsch. Die Erfolge werden immer gerne mitgenommen. Ich fühle mich da immer mehr ausgeschlossen.

Wollen sich einige Türken nicht integrieren?

Es gibt auch den Vorwurf, dass man uns nicht integrieren lässt

Können Sie mit dem Begriff Integration überhaupt etwas anfangen?
Ich weiß, dass die Integration in Deutschland gescheitert ist.

Ehrlich?
Wie viel türkische Freunde haben Sie?

Einen, der aber jetzt nach Izmir gezogen ist.
Es gibt ganz wenige, die sich wirklich integriert haben. Ich stamme aus der dritten Generation, die vierte Generation macht einen Schritt zurück, wird nationalistischer. Sie wird türkischer. Meine Eltern haben versucht sich anzupassen, manche haben hier vielleicht Häuser gekauft. Meine Generation sieht, dass das irgendwie nicht klappt und die Eltern hier nicht akzeptiert werden. Viele Kinder tragen heutzutage ein Kopftuch, das war früher nicht so.

Was ist daran besonders schlimm?
Die Einstellung gegenüber den Frauen. Wenn jemand sagt, dass seine künftige Frau Jungfrau sein muss, aber gleichzeitig denkt, mit Deutschen rummachen zu können, wie er will. Ich bin auch gegen Kopftücher in der Schule. Für Lehrer und für Schüler, weil es in der Türkei auch verboten ist. Fragen Sie einen muslimischen Vater ob er seine Tochter in eine normale Schule schicken würde, in der eine Nonne unterrichtet.

Wem fühlen Sie sich dann zugehörig?
Keiner Gruppe, weder den Türken in Deutschland, weil sie immer noch so zurückgeblieben denken, noch den Deutschen, weil ich finde, dass ich nicht als Deutsche akzeptiert werde. Eigentlich sollte der Sport da Vorbild sein, insbesondere Fußball als Mannschaftsspiel, bei dem sich alles mischt. Verschiedene Nationalitäten spielen zusammen. Das sieht man ja bei den Profis. Da ist ein Holländer dabei, ein Engländer, ein Schwarzer.

Sibel bedeutet Regentropfen im freien Fall. Wie schnell ist Ihr Leben im Moment?
Sehr schnell und das ist auch gut so. mein Leben ist und war schon immer rast- und zeitlos, denn ein normales Tempo wäre für mich eher langweilig. Ich möchte viel sehen, viel erleben. Ich habe Angst etwas zu verpassen. Ich möchte sagen können, ich habe gelebt!

Das Interview ist in RUND 5_12_2005 erschienen.

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