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Das Westpaket
1956 erzielte Fritz Walter gegen Wismut Karl-Marx-Stadt sein berühmtestes Tor: eine Art eingeflogener Hackenrückzieher. Von dem Treffer existieren nur wenige Fotos. Von Miriam Heidecker und Martin Krauß.

Fritz Walters Hackenrückzieher

Fritz Walters Volltreffer: Erst Fotos machten das Tor berühmt
Fotos Hans-Peter Beyer, Benne Ochs



Im November 1956 bekommt der Dresdner Werner Jenke Post von Fritz Walter. „Sie haben mir eine große Freude bereitet“, bedankt sich der Weltmeister aus dem Westen bei dem Fotografen aus dem Osten. Jenke hat ihm nämlich ein Foto geschickt, das das spektakulärste Tor in der Karriere des 2002 verstorbenen Walter zeigt. „Kein Fallrückzieher, sondern ein Hackentor“, sagt der heute 84jährige Jenke.

Schon die Umstände sind ungewöhnlich: Am 6. Oktober 1956 findet im neu erbauten Leipziger Zentralstadion vor 110.000 Zuschauern ein Freundschaftsspiel zwischen dem DDR-Meister Wismut Karl-Marx-Stadt, dem späteren Wismut Aue und heutigen FC Erzgebirge, und dem 1. FC Kaiserslautern statt. Der FCK siegt 5:3. Dietrich Weise, damals als Fan im Stadion, später erfolgreicher Trainer, schildert Walters Tor: „Eckstoß von der rechten Seite, Fritz hechtete waagerecht in der Luftlinie in die Flugbahn hinein, um zum Kopfball anzusetzen, erkannte dabei, dass er den Ball, der leicht nach hinten abdriftete, so nicht erreichen würde. Also nahm er ihn mit dem nach hinten gestreckten Bein und zog die Kugel mit dem Absatz über den Torhüter ins Netz, oben in den Winkel.“

Werner Jenke hat sich mit ein paar Kollegen hinter dem Wismut-Tor aufgebaut. Das neue Flutlicht macht ihm zu schaffen. „Das war eine große Schwierigkeit.“ Er entscheidet sich für den Blitz. „Die Spieler hat das nicht gestört. Das verpuffte eigentlich.“ Hans-Peter Beyer steht neben Jenke. „Geblitzt habe ich nicht“, erinnert sich der heute 73-Jährige. „Ich habe eine Blende zwei benutzt, 1/250 Sekunde Belichtungszeit. Normalerweise nimmt man beim Fußball 1/1000.“ Beyer ist stolz auf sein Bild: „Meines ist haltungsmäßig besser, da sieht man Walter im Sprung. Bei den anderen Fotos ist Walter schon unten.“ Doch auch Jenke will sich seine Aufnahme nicht schlecht reden lassen. „Es war wohl mein bestes Fußballfoto“, sagt er. „Es gab damals doppeltes Honorar, als Auszeichnung.“

Beyer und Jenke sind zwei von nur wenigen Fotografen, die Walters Jahrhunderttor aufnehmen. Das DDR-Fernsehen überträgt zwar live, aber durch die schlechten Lichtverhältnisse war kaum etwas zu sehen. Beyer veröffentlicht sein Foto zunächst in der „Fußballwoche“ der DDR und in der „Halleschen Zeitung“. Jenke arbeitet für die Illustrierte „Zeit im Bild“. „Wir haben Strichlinien eingefügt, damit man sieht, wie der Ball fliegt“, erklärt Jenke. „Die Striche habe ich mit Deckweiß draufgezeichnet“, sagt auch Beyer. „Die Leser hätten den Ball sonst für den Mond halten können.“

Beide Bilder werden im Westen kaum verbreitet. „Wenn mein Bild damals schon bekannt gewesen wäre“, ist sich Beyer sicher, „dann glaube ich nicht, dass das Uwe-Seeler-Foto, wo er 1966 aus dem Stadion geht, zum Bild des Jahrzehnts gewählt worden wäre.“ Hans-Peter Beyer fotografiert noch heute, Werner Jenke hat sich zur Ruhe gesetzt. „Meine Augen machen nicht mehr mit, ich kann gerade noch auf zwei Meter Entfernung sehen.“ Die Negative seines Fotos von Walters Jahrhunderttor hat Jenke vor einigen Jahren im Dresdner Elbhochwasser verloren.

Der Text ist in RUND #14_09_2006 erschienen.

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