INTERVIEW
„Die Armen haben begonnen, Materialien aus den Stadien abzubauen“
Warren McGregor war Torwart bei Ajax Kapstadt. Im Profikader angekommen, verletzte er sich schwer an der Hand und wurde in die zweite Liga verkauft. Heute ist Warren Student der Wits Universität in Johannesburg und Vorsitzender von „Zabalasa", einer anarchokommunistischen Föderation in Südafrika. RUND-Autor Christian Gülisch sprach mit ihm in Johannesburg über die Auswirkungen der WM in Südafrika.

Warren McGregor
Kämpfen gegen das System: Warren McGregor mit seinen Mitstreitern von „Zabalasa"



RUND: Warren, du warst Fußballprofi bei Ajax Kapstadt, bevor du deine Karriere beenden musstest. Was ist passiert?

Warren McGregor: Meine letzte Saison spielte ich für Ajax 1999/2000. Im Training habe ich mir dann meinen Daumen kompliziert gebrochen und mir wurden Metallschrauben in die Hand gesetzt. Nach meiner Verletzungspause hat mich Cape Town City verpflichtet - ein Zweitligaverein, der damals noch so hieß, bevor er an so einen Typen in Pietermaritzburg verkauft wurde. Nach der Übernahme hat er den kompletten Kader ausgetauscht und ich wurde vereinslos. Dann habe ich beschlossen mit dem Profifußball aufzuhören, um mich auf mein Studium zu konzentrieren.

Wie wird man vom Profifußballer zum Anarchisten?
Ich wurde Anarchist als ich schon lange aufgehört hatte Fußball zu spielen, aber das hatte auch mit meiner Erziehung zu tun. Als Farbiger während der Apartheid bin ich in einem der armen Viertel von Kapstadt aufgewachsen. Mein Vater war ein ANC-Aktivist [Afrikanische Nationalkongress, heutige Regierungspartei in Südafrika] in den 70ern und 80ern, mein politisches Bewusstsein hatte sich dadurch schon früh entwickelt. Ende der 2000er hat sich meine Beziehung zum ANC ernüchtert und ich wendete mich dem Anarchismus zu.

Bist du dem Fußball immer noch verbunden, obwohl sich dieser immer mehr zu einer kapitalistischen Industrie entwickelt?
Ich würde wahrscheinlich immer noch Fußball spielen, nicht auf Profilevel, aber in Sonntagsligen. Aber dazu gibt es hier in Südafrika wenig Möglichkeiten. Ich würde mich auch gerne als Jugendtrainer engagieren, um die Jugendlichen weg von der Straße, Alkohol und Drogen zu führen. Man könnte dadurch auch Möglichkeiten schaffen eine Diskussionskultur zu entwickeln, um sich über politische Fragen auszutauschen. Das wäre sehr attraktiv.

Wie hast du die Weltmeisterschaft in Südafrika erlebt?
Als Farbiger in Südafrika bin ich damit aufgewachsen Fußball zu schauen und zu spielen, aber durch meine politischen Aktivitäten der letzten Jahre, habe ich die Weltmeisterschaft und ihre Auswirkungen eher von einem kritischen Standpunkt gesehen.

Inwiefern?
Den meisten Menschen in Südafrika wurde die Weltmeisterschaft als Segen verkauft, der den Südafrikanern Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg versprach. Ein Effekt, der sich zudem auf das restliche Afrika übertragen sollte. Viele Menschen glaubten daran, aber jetzt werden die ersten Anzeichen sichtbar, dass letztlich nur die davon profitiert haben, von denen es vorher schon klar war. Die wirtschaftliche und politische Elite aus dem Ausland, aber auch aus Südafrika.

Hast du die Spiele verfolgt?
Ja, natürlich habe ich mir einige Spiele angesehen, es ist hart die alten Gewohnheiten abzulegen. Vor allem bei den Spielen der afrikanischen Teams konnte ich meine Emotionen nicht unterdrücken, aber ich habe mich niemals dem Hype der Fifa-Mafia angeschlossen. Während der Weltmeisterschaft habe in unserer Organisation, Zabalasa [Anarchokommunistische Föderation Südafrikas], auch viel Zeit damit verbracht die Lügen der Veranstalter aufzudecken in Kooperation mit andern sozialen Bewegungen der Arbeiterklasse.

Wie ist denn dein Fazit des Jahres 2010 für den afrikanischen Fußball?
Nun ja, die Weltmeisterschaft lief wie erwartet. Die afrikanischen Teams haben viel Wind gemacht, aber der Mangel an Qualität zeigte sich und sie wurden schon in der ersten Runde rausgeworfen. Abseits des Platzes gab es die üblichen Verschwendungen von Geld auf Kosten der Bürger, aber nicht dort wo es der südafrikanische Fußball am Nötigsten hat - die Entwicklung der Basis. Die Fifa hat mehr als 1,2 Milliarden Euro an der Weltmeisterschaft verdient und die lokalen Fußballverbände haben eine große Summe davon erhalten, um es in die Entwicklungshilfe zu investieren. Dies ist aber noch nicht passiert und wird auch nicht passieren, weil der Fußball hier [in Südafrika] zum persönlichen Vorteil der Besitzer der Premier League Clubs und des südafrikanischen Verbandes genutzt wird.

Jacob Zuma, Südafrikas Präsident, sagte den Medien immer wieder, dass Südafrika von den Investitionen in die Infrastruktur und auch von der vereinigenden Kraft des Turnieres auf Jahre hinaus profitieren werde.

Fakt ist, dass Südafrika fast 800 Milliarden Rand [rund 80 Milliarden Euro] für die Bauvorhaben der Weltmeisterschaft in ein paar Jahren ausgegeben hat. 42 Milliarden Rand [rund 4,2 Milliarden Euro] wurden in neue oder ausgebaute Stadien investiert. Millionen wurden in den neuen Gautrain - ein Rapid Zugtransportsystem - gesteckt, ein Projekt, dass immer noch nicht fertig gestellt ist. Dies alles in einem Land, dass gemäß dem Gini-Koeffizient [Index zur weltweiten Ungleichverteilung] die größte ungleiche Gesellschaft der Welt ist, mit einer Arbeitslosenquote von 40%. Allein 70% der Jugendlichen zwischen 18-25 haben niemals in ihrem Leben Arbeit gehabt, mit einer erschreckenden Armutsquote. Mit sozialen Umbrüchen und Protesten wie fast nirgendwo auf der Welt, obwohl uns jetzt die Menschen in Tunesien und Ägypten den Weg zeigen.

Was könnten denn die Folgen dieser Investitionen sein?

Diese Aufwendungen für irrsinnige Sportveranstaltungen ist nicht nur lächerlich, sondern eigentlich fast schon kriminell. Ich denke, das ist - und ich bin nicht der einzige - eine finanzielle Katastrophe, die bereits für jedermann sichtbar ist. Der Stadtrat von Johannesburg, zum Beispiel, hat es noch nicht geschafft ein öffentliches städtisches Transportsystem fertig zu stellen, weil ihnen die Mittel ausgegangen sind. Dieses Geld haben sie stattdessen für Projekte zur Gentrifizierung von Wohngegenden aufgebraucht. Für die Weltmeisterschaft wurden also Obdachlose und Straßenhändler von den Reiserouten entfernt, arme Menschen wurden aus ihren Wohnungen vertrieben und in provisorischen Baracken untergebracht, außer Sicht- und Hörweite der Touristen.

Das heißt der Großteil der Bevölkerung konnte durch die Weltmeisterschaft nicht profitieren?
Die Weltmeisterschaft hat nur die Menschen vereinigt, die es sich auch leisten konnten zu den Spielen zu gehen. Die Mittelklasse und die Oberschicht konnten sich auf Kosten der mehrheitlichen Armen und Arbeiterklassen vergnügen. Zudem haben der Großteil der Südafrikaner nicht nur nicht profitiert, ihr alltägliches Leben hat sich verschlechtert. Sie konnten es sich nicht leisten zu den Spielen zu gehen und die meisten haben noch nicht einmal Zugang zum Internet, der notwendig war, um die Tickets zu buchen. Und wieder einmal wurde der wirtschaftliche Profit unter den schon Reichen verteilt, zum Nachteil der ohnehin schon leidenden Mehrheit.

Fifa Präsident Joseph Blatter hat dennoch ein letztlich positives Feedback für die Weltmeisterschaft gezogen, indem er besonders auf den anhaltenden wirtschaftlichen Nutzen des Landes aufgrund des Turnieres hinwies. Die Währung ist stabil und wuchs sogar während der Finanzkrise, was sich wohl sehr attraktiv auf ausländische Investoren auswirken soll.

Nun, da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe die wirtschaftlichen Auswirkungen bereits angeschnitten. Interessant ist, dass der größte südafrikanische Gewerkschaftdachverband COSATU [Congress of South African Trade Unions] für eine schwächere Währung plädiert, weil dadurch der Handel von südafrikanischen Gütern angeregt und es lukrativer wäre, hier zu investieren. Ein starker Rand hat einen negativen Einfluss für den Export und einen Positiven für den Import. Also, Währungskurse sind ein komplizierter Balanceakt zwischen konkurrierenden Interessen, bei dem die Arbeiterklasse benachteiligt wurde und wird.

Neben den wirtschaftlichen Faktoren hat die Fifa zudem soziale Projekte durch ihr Programm „Football For Hope“
gestartet. Projekte, die sich laut Blatter besonders auf Bildung und Gesundheit in Südafrika beziehen.
Machen sie das? Und wie? Diese Programme haben nur einzig allein des Zweck das Image und Auftreten der Organisation und Fußballern zu verbreiten. Tatsächlich haben solche Programme keinen wirklichen Nutzen. Einige Kinder bekommen eine Mahlzeit und ein paar Schulbücher, aber löst es auch wirklich die strukturellen Probleme des Kapitalismus mit der ewigen Ungleichheit und Ungerechtigkeit? Nein, natürlich nicht und das wird auch niemals die Absicht sein. Die Direktoren und Manager der Partnerorganisationen in Afrika verdienen sich ein schönes Gehalt mit den Spendengeldern - die Geißel der Entwicklungsorganisationen auf diesem Kontinent -, währenddessen die Menschen, die es wirklich brauchen, sich mit billigen Zuwendungen begnügen müssen. Das alles in einem Klima aus Sparmaßnahmen und drastischen Kürzungen der Sozialausgaben.

Für die EM 2004 in Portugal wurden riesige Stadien gebaut, wobei die portugiesischen Klubs im Nachhinein nicht in Lage waren diese aufgrund der zu geringen Zuschauerrat auszufüllen. Durch die finanziellen Belastungen sind Vereine wie Benfica Lissabon oder FC Porto fast von der internationalen Bildfläche verschwunden. Wie werden die südafrikanischen Vereine damit fertig?
Die Vereine besitzen die gebauten Stadien nicht, außer ich denke vielleicht einem, die Sundowns [Mamelodi Sundowns aus Pretoria] haben eine Mehrheit an dem Loftus-Versfeld, einem ausgebautem Stadion, nicht neu. Die Stadien sind gewaltige weiße Elefanten. Die Verwaltungen haben Probleme damit umzugehen oder sie zu verkaufen. Es ist ein gewaltiges Abflussrohr für die lokale Wirtschaft. Kapstadt, die zweitreichste Metropole kann es sich nicht leisten, das Green-Point-Stadion am Laufen zu halten und müssen regelmäßig den Strom abstellen, weil es von keinem der drei dort ansässigen Premier League Clubs genutzt wird. Die Vereine spielen ihre Heimspiele anderswo, was für eine Verschwendung und das alles nur für ein paar gute Kritiken der Touristen und der Presse.

Die Stadien bleiben also größtenteils unbenutzt?
Ermutigend ist, wie sich die Menschen in Soweto [einem Township in Johannesburg, Anm. d. Red.] in der Nähe des monströsen Stadions Soccer City verhalten. Die Armen haben begonnen die Materialien und das Equipment, wie Elektrokabel usw. aus dem Stadion zu klauen. Sie benutzen diese Materialien für ihre Gemeinschaften, die keinen Zugang zu solchem Equipment hat oder es sich nicht leisten können. Dies kann als eine Form der direkten Beteiligung betrachtet werden und ist ein Teil der extra-legalen Realität der Mehrheit dieses Landes. Arme Südafrikaner und Einwanderer haben nichts weiter als diese Methoden.

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