INTERVIEW
„Den großen Macher gibt es nicht mehr"
Zum Karrierende von Steve Cherundolo. Der US-Amerikaner über Freundschaften im Profifußball und die 15 Jahre bei Hannover 96. Interview Marc Mrosk



Steve Cherundolo

Foto Pixathlon



Was tust du gegen das Heimweh nach Kalifornien? Du bist Surfer und zum nächsten Strand ist es dort nicht weit.
Steve Cherundolo: Das ist in der Tat schwierig hier, aber ich spiele auch ganz gerne Golf, wenn das Wetter mitspielt. Meistens treffe ich mich aber einfach mit Freunden und wenn am Wochenende Zeit ist, dann besuche ich auch gerne mit meiner Frau andere Städte. In Deutschland haben wir schon alle Städte durch, die meisten anderen europäischen Städte eigentlich auch, aber trotzdem hören wir mit dem Reisen nicht auf. Letzte Woche waren wir in Wien und das hat uns sehr gut gefallen.

Ist dein Freundeskreis sehr gemischt mit Europäern und Amerikanern?
Steve Cherundolo: Die meisten meiner Freunde sind Europäer, kommen von überall her aus Europa.

Schaut deine Familie in den USA deine Spiele im TV, trotz des großen Zeitunterschieds?
Steve Cherundolo: Ja, wenn es im Fernsehen ausgestrahlt wird, schauen sie auch zu. Das Freitagabendspiel der Bundesliga wird in den USA gezeigt, sowie auch ein Spiel von den Samstagspartien und eines von den Spielen am Sonntag und wenn bei einem der ausgestrahlten Spiele Hannover 96 dabei ist, dann gucken sie auf jeden Fall, egal, welche Zeit es ist.

Du bist jetzt seit 1999 bei Hannover 96, was im heutigen Profifußball eine große Ausnahme ist. Du bekommst auch dieses ganze Trainer- Karussell zurzeit mit und hörst natürlich auch von Spielern, die häufig den Verein wechseln, weil sie dem Geld und dem Erfolg folgen, ohne sich noch großartig mit ihrem Club oder der Stadt zu identifizieren. Ist das für dich als Profi nachvollziehbar oder findest du diese Entwicklung traurig?
Steve Cherundolo: Als Profi kann ich das nachvollziehen. Du hast nur einmal diese Chance im Leben Profifußballer zu sein, du hast nur eine Karriere und nur einen Körper und wenn der irgendwann nicht mehr die Leistung bringen kann, dann ist es vorbei mit der Karriere und die Zeit kann man nun mal nicht zurückdrehen. Diese Entscheidungen als junger Mensch zu treffen, ob man bei einem Verein bleiben oder gehen soll ist manchmal sehr schwierig. Man ist fast vollkommen abhängig von einer guten Beratung und natürlich gehört auch eine Portion Glück dazu, den richtigen Schritt zur richtigen Zeit zu machen. Wenn man allerdings einen Verein hat, der sehr menschlich mit dem Spieler umgeht, was nicht überall der Fall ist, dann weiß man auch was man hat und ich habe nicht nur aus sportlicher, sondern auch aus menschlicher Sicht eine unglaubliche Erfahrung hier mit Hannover 96 gemacht. Ich könnte es mir persönlich nicht vorstellen, alle drei Jahre den Verein zu wechseln. Man lernt den Verein kennen, die Stadt natürlich auch und man entwickelt auch eine besondere Beziehung zu den Fans. Es ist bisher eine wunderbare Karriere in Hannover gewesen und ich hoffe, die hält auch noch ein paar Jahre an.

Du bist seit dieser Saison Kapitän bei 96. Viele andere mit deiner Erfahrung hätten wahrscheinlich darauf bestanden, aber du hast es halt gemacht, weil es jemand machen musste, auch wenn es nicht so dein Ding ist. Das spricht für deine Stärke sich anzupassen um dem Kollektiv zu dienen. Ist die menschliche Seite eines Spielers wichtiger als die sportliche?
Steve Cherundolo: Ja und das wird oft unterschätzt. Man darf nie vergessen, dass man jeden Tag mit knapp 25 verschiedenen Charakteren auf engstem Raum zusammenarbeiten muss und muss dabei einfach sehr sozial und respektvoll mit jedem Einzelnen umgehen. Wenn der Respekt vor den Kollegen nicht da ist, dann wird es sehr schwer für eine Mannschaft erfolgreich zu spielen. Ich sehe auch den Kapitän einer Mannschaft nicht als jemanden, der immer am lautesten sein muss oder sagt, wo es lang geht. Natürlich muss er die gesamte Mannschaft im Blick haben und einen guten Draht zu vielen Spielern pflegen, aber diesen absoluten Führungsspieler, der große Macher eines Teams, den gibt es für mich nicht mehr im modernen Fußball.

 
Wer trägt die Verantwortung?
Steve Cherundolo: Mehrere im Team müssen. Wir haben die Aufgabe menschlich miteinander umzugehen. Wir hier bei Hannover 96 können nur als Kollektiv Erfolg haben und wenn jeder sein eigenes Ding macht, wie es zum Teil letzte Saison der Fall war, dann wird es nichts mit dem Erfolg. Jeder muss mit jedem umgehen, als wäre es sein Bruder und wir sind hier in der Mannschaft auch fast alle Freunde, was im Profifußball sehr selten ist. Wir müssen aber diese Freundschaften gar nicht haben, da besteht überhaupt kein Druck, aber wenn sich so etwas in einem Team entwickelt, ist es umso schöner.

Wenn Teamkollegen und Fans von dir sprechen hört man positive Dinge. Du bist jemand der sehr ruhig und gelassen wirkt. Was kann dich richtig wütend machen?
Steve Cherundolo: Ich hab sicherlich auch Tage, an denen ich nicht so gut drauf bin, aber ich bin einfach ein Mensch, der meistens gut gelaunt ist. Ich habe in meinem Leben bisher sehr viel Glück gehabt und dafür auch sehr dankbar. Es ist auch eine Erziehungssache. Meine Eltern haben es mir beigebracht erstmal das Positive in einem Menschen zu sehen und solltest du enttäuscht werden, ist man halt danach ein wenig schlauer, aber im Grunde genommen, hat jeder bei mir eine Chance. Dass ich richtig sauer werde ist eher selten, entweder habe ich dann Hunger oder schlecht geschlafen, oder wenn jemand meinen Hund oder meine Frau blöd anmacht, dann werde ich schon wütend.

Stichwort Hunger. Was isst du am liebsten in Deutschland?
Steve Cherundolo: Wiener Schnitzel, was ich erst in Deutschland kennen gelernt habe, auch wenn es ein österreichisches Gericht ist. Dazu noch Bratkartoffeln….mmm…dafür würde ich so einiges tun.

Was gefällt dir an Hannover am besten?
Steve Cherundolo: Ich finde die Größe der Stadt wunderbar. Es ist groß genug, um immer noch irgendwelche versteckten Plätze entdecken zu können, aber auch wiederum klein genug, um ein familiäres Gefühl in der Stadt zu spüren. Das ist, was ich an Hannover so liebe und an meiner Heimatstadt San Diego sehr vermisse.

Wenn du wählen könntest: Ein WM Sieg mit dem US-Team oder den Gewinn der Champions League mit Hannover 96, wofür entscheidest du dich?
Steve Cherundolo: Gute Frage. (überlegt) Ich würde sagen den Gewinn der Champions League mit Hannover 96.


Zurück  |