INTERVIEW
„Ich mag keine Großkotzigkeit"
Marcell Jansen über das Zusammenspiel mit Dennis Aogo, Krach mit älteren Mitspielern und Essen mit Genuss. Interview Matthias Greulich

 

Marcell JansenKnapp vorbei: Marcell Jansen neben Holger Badstuber Foto Pixathlon

 

 

Herr Jansen, viele Nationalspieler hatten Probleme mit der kurzen Erholungszeit vor der Bundesligasaison. Sie auch?
Marcell Jansen: Damit hatte ich auch Schwierigkeiten. Ich hatte zwei Wochen Urlaub. Wir waren 60 Tage bei der Nationalelf zusammen. Die Reisen in der Vorbereitung nach Italien. In Südafrika selber waren wir nur am Fliegen. 60 Tage so ein Rhythmus – und dann 14 Tage Urlaub. Irgendetwas passt da nicht. Das hat man bei allen gemerkt.  Es fehlt die Spritzigkeit. Wenn du so lange das Level hochhältst, davor eine ganze Saison gespielt hast. Oder wie in meinem Fall Reha hattest, wo du noch mehr machen musst. Es dauert erst einmal, im Urlaub runter zu kommen. Um dann nach 14 Tagen wieder hoch zu fahren, das ist schwierig. Da passt die Balance nicht. Normalerweise müsste man 14 Tage gar nichts machen, um sich anschließend über zwei, drei Wochen langsam aufzubauen. Aber die Zeit hat man nicht.

Hatten Sie in der Phase keine Lust mehr auf Fußball?
Marcell Jansen: Man hat eigentlich immer Lust. Wenn aber immer wieder das nächste Spiel kommt, ist es irgendwann auch kein Highlight mehr. Die WM ist ein Highlight. Du merkst die Belastung gar nicht, wenn du im Rhythmus bist.  Und wenn du verletzt bist, willst du schnell wieder auf den Platz.

Jens Lehmann beschreibt in seinem Buch, dass eine Profimannschaft wie ein Wolfsrudel funktioniere, in dem schwächere weg gebissen werden. Wie muss man sich als junger Spieler verhalten?
Marcell Jansen: Ich muss als junger Spieler zeigen, dass ich aufmerksam bin. Die Älteren müssen sehen, dass ich etwas erreichen will, mir aber auch nicht zu schade bin, die Leibchen raus zu tragen. Es kann nicht sein, dass man mir das mit 18 dreimal sagen muss. Ich habe mir immer angehört, wenn mir Ältere etwas gesagt haben. Aber wenn es von einem Alten aus Frustration gemacht wurde, weil er mit seiner eigenen Leistung unzufrieden war, habe ich es mir nicht gefallen lassen. Wenn es unter der Gürtellinie ging auch nicht. Man muss sich da behaupten. Die älteren Spieler, mit denen du dich gestritten hast, beobachten dich ja weiter. Wenn du dich wehrst, wird es im ersten Moment kritisiert. Aber was ist die nächsten Tage? Wenn die beobachten, dass du deiner Linie treu geblieben bist,  bekommt man eine Art von Respekt. Dann hinterfragen sich sogar die Alten, ob sie nicht über die Stränge geschlagen haben. Ob bei denen irgendwas im Leben nicht so funktioniert, dass die immer diese versteckten Aggressionen haben. Ich mag keine Ungerechtigkeit oder Großkotzigkeit. Ich habe selber hier und da mal geschrien, weil ich unbedingt gewinnen wollte. Und das war dann auch nicht immer richtig. Ich habe mich anschließend dafür entschuldigt.

Wie wird überhaupt auf dem Platz mit dem Nebenmann kommuniziert: Gibt es kurze Kommandos, oder sehen Sie im Augenwinkel, wie Sie sich stellen müssen?
Marcell Jansen: Der Außenverteidiger und der jeweilige äußere Mittelfeldspieler müssen ein Paar bilden. Damit sie offensiv Aktente setzen können, und auch, wenn es mal nicht so gut läuft, es zumindest gut schaffen, die Seite zuzumachen. Dass man dort gut in die Zweikämpfe kommt und nicht so offen ist. Das macht ein gutes Pärchen aus. In Hamburg haben wir das letzte Saison richtig gut vorgelebt. Hinter mir hat Dennis Aogo gespielt und Dennis wurde auch Nationalspieler. Wir haben gegen Uruguay einmal als Paar zusammengespielt.

Reizt es Sie, weiter vorne zu spielen, wie in der Gladbacher Jugend.
Marcell Jansen: Wenn ich im Mittelfeld spiele, habe ich immer die Möglichkeit, nach vorne zu gehen. Gerade, wenn wir rechts durchbrechen und du musst mit in den Sechzehner rein. Das ist teilweise sehr offensiv. Aber du musst genauso schnell wieder in die Ordnung zurück, wenn der Gegner wieder den Ball hat. Bis zur C-Jugend war ich immer vorne. Dann habe ich das erste Mal Außenverteidiger gespielt. Anschließend wieder offensiv, in der A-Jugend war ich wieder Außenverteidiger. Bei den Profis in Gladbach habe ich dann oft im Mittelfeld gespielt. Größtenteils wegen der Nationalmannschaft auch wieder hinten. So ist es immer hin- und hergegangen. In Hamburg das Gleiche: Im meinem ersten Jahr als Linksverteidiger angefangen, aber damals unter Martin Jol schon einige Spiele im Mittelfeld gemacht. In der letzten Saison war es genauso.

Hinter uns hängt ein Foto von Mehdi Madavikia. Der wurde unter dem damaligen HSV-Trainer Thomas Doll zum Verteidiger umgeschult. Ein neuer Trend?
Marcell Jansen: Man muss immer den Einzelfall sehen. Für mich war es so, dass ich in der Bundesliga, Europa League und in der Nationalelf hauptsächlich Linksverteidiger gespielt habe, etwa auch das WM-Halbfinale gegen Spanien. Was mir sehr gut getan hat, war, dass man mir die Zeit gegeben hat, im Mittelfeld eigentlich noch mal Neu-Nationalspieler zu werden. Für ein, zwei Spiele bin ich als linker Mittelfeldspieler berufen worden. Das war schon etwas Besonderes. Es ist eine Position, die ich sehr gerne mag. Gerade wie wir es bei der Nationalmannschaft und in Hamburg spielen. Aber für mich war es im Mittelfeld gut zu wissen wie es ist, wenn man der hintere ist. Was man dann erwartet. Ich versuche dann, dem hinteren so zu helfen, wie man es selber gerne als Linksverteidiger gehabt hätte. Für mich war es eine gute Kombination.

Im Halbfinale 2010 gegen Spanien musste die deutsche Elf ohne den gesperrten Thomas Müller auskommen. Haben Sie das bemerkt?
Marcell Jansen: Thomas hatte in dem Turnier einen Riesenlauf. Er ist auch ein sehr guter Spieler, was er jetzt auch jede Woche unter Beweis stell und ein guter Typ. Er hätte in dem Spiel natürlich auch seine Qualitäten einsetzen können. Wobei ich nicht glaube, dass an einem solchen Tag an einzelnen liegt im Mannschaftssport. Dennoch hätten wir uns alle gefreut, wenn er seine Qualität dort für uns eingesetzt hätte. Es ist aber zu einfach, die Niederlage an einzelnen festzumachen. Das ist so typisch medial. Es war allgemein ein Tag, an dem es nicht so geklappt hat.

Marcell JansenSprint im kleinen Finale gegen Uruguay: Marcell Jansen Foto Pixathlon

 

Herr Jansen, müssen Sie eigentlich immer noch auf Ihre Ernährung achten?
Marcell Jansen: Das hat sich gelegt. Nur bei Nudeln und Brot achte ich auf Gluten, die allgemein nicht gut verträglich sind. Für einen, der keinen Leistungssport macht, schon eher, weil er es nicht im Übermaß isst. Wir müssen uns das ja reinhauen ohne Ende und dann ist es auch etwas anderes. Das gibt es heutzutage in sämtlichen Läden. Das ist nichts schlimmes, man verliert keine Lebensqualität. Fleisch, Fisch, Kartoffeln und Reis darf ich alles essen. Eine Zeit lang musste ich sehr diszipliniert sein, weil ich wollte, dass es besser wird. Dann stellt der Körper sich irgendwann wieder. Für mich war es interessant, weil man mehr über das Essen nachdenkt, mehr genießt und nicht nur alles so herunterschlingt.

Gibt es eine Tischordnung bei der Nationalmannschaft wie sie Louis van Gaal bei den Bayern eingeführt hatte?
Marcell Jansen: Wir haben Zeiten, an denen wir alle gemeinsam anfangen zu essen. Es wird auch dann erst angefangen, wenn alle da sind. Und es ist egal, wo man sich hinsetzt. Die Spieler mischen sich immer ein bisschen.

Denkt sich der DFB-Küchenchef Holger Stromberg nach Siegen etwas Besonderes aus?
Marcell Jansen: Der Strombi, wie wir ihn nennen, macht das super. Der lässt sich immer etwas einfallen, will immer ein Highlight setzen. Da sind wir sehr verwöhnt mit so einem geilen Essen. Und von der Abwechslung her. Auch das Team um Strombi herum ist Wahnsinn, wenn man überlegt, wie die das alles hinbekommen haben. Bei der Nationalmannschaft passt ein Mosaiksteinchen zum anderen.

 

Ein weiteres ausführliches Interview mit Marcell Jansen lesen Sie im Buch
„Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg“ von Matthias Greulich (Herausgeber) und Sven Simon, Copress Verlag, 176 Seiten, ISBN 978-3-7679-1048-5, 19,95 Euro

Die Fußball-Nationalef. Auf der Spur zum Erfolg

 

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