INTERVIEW
„Man muss versuchen, sich zu maskieren“
Massimiliano Allegri war mit 43 Jahren der zweitjüngste Trainer Italiens, der den Meisterpokal der Serie A geholt hat – und zwar auf Anhieb. Bei seinem damaligen Verein, dem AC Mailand, ist das vor ihm nur Arrigo Sacchi und Fabio Capello gelungen. Große Schuhe, in deren Fußstapfen der zuvor im Ausland weitgehend unbekannte Trainer 2010 getreten ist. Auf sich aufmerksam gemacht hat der ehemalige offensive Mittelfeldspieler Livornos, Napolis und Pescaras spätestens nach zwei beeindruckenden Saisons bei Cagliari Calcio. Jetzt lässt er Milan offensiv spielen. Interview Antje Luz.

 

Massimiliano Allegri und Kevin Prince BoatengJubel mit seinem Spieler Kevin Prince Boateng: Massimiliano Allegri, Milans junger Meistertainer
Foto Pixathlon

 

Signor Allegri, wir haben Sommertransferzeit. Welche sind Ihre Kriterien, um einen Spieler zu wählen?
Ein Spieler muss technische, taktische und seelische Qualitäten haben, vor allem muss er zweckmäßige Eigenschaften haben, die speziell die jeweilige Position verlangt.

Und mental?
Um in einer großen Mannschaft zu spielen, braucht ein Fußballer große mentale Stärke. Und vor allem muss er persönlich wichtige Eigenschaften besitzen.

In Italien ist der Druck zum Resultat riesengroß. Aus diesem Grund setzen nur wenige Trainer junge Spieler ein, die ihnen die Zeit geben, auch mal Fehler zu machen. Vergangene Saison haben Sie Abate, Boateng und Merkel eingesetzt. Was war stärker: Mut, Neugier oder Notwendigkeit?
In Italien ist es schwierig, die Jungen spielen zu lassen, weil es sehr viel Druck gibt. Aber letztes Jahr gab es eine Zeit, in der die Jungen es verdient hatten, zu spielen und weil es in den Momenten nötig war.

Wegen der Probleme im Mittelfeld.
Wegen des Mittelfelds, ja. Wenn sie nicht in der Lage gewesen wären, zu spielen, hätte ich sie sicher nicht eingesetzt. Sie haben gezeigt, dass sie ohne Weiteres spielen können.

Es gibt sehr expressive Trainer, Sie dagegen beeindrucken mit Ihrer Ruhe. Wie bewahren Sie sie auch in Momenten großen Drucks? Und war Ihnen nie danach, sich mal die Haare zu raufen?
Das ist Teil meines Charakters. Und mir die Haare zu raufen kam mir nie in den Sinn, weil ich wenige habe...

Man wird also mit ruhigem Temperament geboren? Oder kann man so werden?
Man wird damit geboren und dann verbessert man es, während man sich entwickelt. Aber wenn man es nicht in sich hat, ist es schwierig, es sich anzugewöhnen...

Heutzutage werden viele Trainer sehr schnell ausgewechselt. Kann man noch langfristig arbeiten?
In Italien ist das schwierig.

Auch in Deutschland.
Leider sind wir alle etwas von dieser Krankheit befallen. Aber ich glaube, dass sich der Fußball an das Leben anpasst, das sehr schnell läuft, und man also sehr schnell Resultate liefern muss.

Und welche wäre dabei Ihre Vision von Fußball, die Sie gerne realisiert sähen?
Dass man mehr Zeit hätte, denn das ist, was man braucht, um Resultate zu bringen.

Italienischer Meister: ein Endpunkt oder ein Ausgangspunkt?
Ein Ausgangspunkt!

Und was wollen Sie von hier aus erreichen?
Weitere Meisterschaften gewinnen, die Champions League gewinnen, oder es wenigstens versuchen.

Welches ist die wichtigste Eigenschaft eines Trainers?
Die Psychologie. Wenn es gelingt, ein guter Psychologe zu sein, dann gelingt es, das Beste aus einem Spieler zu holen.

Und wie gelingt es, einen Spieler sein Bestes geben zu lassen?
Man muss versuchen, ihn von einem psychologischen Standpunkt aus zu kennen, um ihn in gewissen Momenten besser verstehen zu können und ihm zu verklickern, darüber hinaus zu gehen. Ich glaube, dass das Kennen der Person des Spielers, mehr als seine Technik und Taktik, sehr wichtig ist.

Wie bildet man aus elf Männern eine Mannschaft? Das heißt, wenn wie bei Milan vergangene Saison jedes zweite Spiel ein anderes Team aufläuft? Wie haben Sie es geschafft, das Gleichgewicht zu finden: durch Intuition oder Wissenschaft?
Intuition. Wissenschaft gibt es im Fußball nicht. Es gibt Intuition und vor allem Glück. Man muss versuchen, allen Spielern die richtige Bedeutung zu geben, um sie darauf vorzubereiten, wenn sie auf dem Platz gebraucht werden. Das ist ein sehr wichtiger Faktor in einer Fußballmannschaft, denn am Ende gewinnt oder verliert man die Meisterschaften mit einem oder drei Punkten Unterschied. Und wenn in dem Moment der Saison, wenn die Mannschaft nicht vollständig ist, dann braucht man die, die draußen sind, und wenn man die nicht heranziehen kann, dann ist das sehr schwierig.

So wie es im vergangenen Jahr für Sie wirklich besonders schwierig war, denn Sie hatten viele Verletzungen, vor allem im Mittelfeld ...
Ja, das war sehr schwierig, sicher, mit den vielen Verletzungen. Aber schlussendlich waren die Jungs super.

Sie vor allem, Sie haben sie ja zusammengestellt.
Aber die Jungs haben gespielt.

Wie haben Sie also das gemacht?
Ich versuche immer, alle Jungs zu involvieren. Sie spüren zu lassen, dass sie beteiligt sind, auch wenn das manchmal nicht leicht ist, weil nicht alle spielen.

Wann war es einmal schwierig, Trainer zu sein?
Schwierig nicht, aber es gibt sicher Momente, in denen es mehr Anspannung gibt, man mehr Kopfzerbrechen hat. Und dann muss man versuchen, sich der Mannschaft gegenüber unbesorgt und selbstsicher zu zeigen. Das ist ganz wesentlich.

Und wenn man sich mal nicht so fühlt?
Dann muss man sich dazu zwingen.

Geht das?
Ja, notgedrungen. Man muss versuchen, sich zu maskieren.

Wer ist der beste Fußballer, den Ihre Augen je gesehen haben?
Messi!

Wer hat Sie während Ihrer Laufbahn beeinflusst? Gibt es ein Vorbild oder ein Quelle der Inspiration?
Ich hatte einen Trainer während meiner aktiven Zeit, mit dem ich mich entwickelt habe, er heißt Giovanni Galeone. Er hat mich nicht direkt inspiriert, aber da ich sechs Jahre unter ihm gespielt habe, ist er derjenige, von dem ich viel gelernt habe.

Und jetzt?
Jetzt ... gibt es mich und ich versuche alles mit meinem eigenen Kopf zu machen, ohne mich beeinflussen zu lassen.

Und es gibt nichts oder niemand, der Sie inspiriert?
Ich glaube, dass jeder sich selbst sein sollte, und mit den Qualitäten trainieren und umgehen sollte, die er hat. Charakterlich und mental.

Welche Erfahrung aus dem Fußball ist Ihnen im Leben nützlich?
Ich glaube, sich auf andere Menschen beziehen, sich mit anderen auseinandersetzen, einander verstehen, miteinander umgehen, das hilft einem sehr im Leben. Genauso wie die Erfahrungen im Leben einem im Fußball helfen. Das sind zwei Dinge, die proportional zueinander sind.

Zur Bundesliga: Bayern München, gegen die Sie beim Audi-Cup angetreten sind, hat sich im Sommertransfer verstärkt und jetzt acht Nationalspieler. Reicht das Ihrer Meinung nach für den Meistertitel?
Acht Nationalspieler sind viel. Um zu gewinnen, braucht man gute Spieler. Und Bayern hat damit dieses Jahr gute Chancen, den Titel zu gewinnen.

Und wieder zur Serie A: Welches waren die Schlüsselspieler dieses Meistertitels? Und welche Aufstellung können wir dieses Jahr erwarten?
Die Schlüsselspieler waren alle. Ich will nicht einen über die anderen stellen... Wenn wir gewonnen haben, dann ist das das gemeinsame Verdienst von allen.

Eine diplomatische Antwort... Können Sie nicht doch einen nennen?
Thiago Silva.

Und zur Aufstellung?
Wir sind mehr oder weniger dieselben wie letztes Jahr, mit zwei neuen in der Verteidigung, und einem jungen im Sturm. Und auf Mister X warten wir noch bis zum 31. August.

Italien hat in der UEFA-Gesamtwertung für die Champions League einen Startplatz verloren. Wird es anders sein mit einer italienischen Mannschaft weniger?
Was sich verändert, ist, dass es schwieriger sein wird, in die Champions League zu kommen. Wir müssen immer unter den ersten drei, oder mehr noch unter den ersten zwei sein. Man muss also sehr gut sein.

Was wird sich mit der neuen UEFA-Regel zum „Financial Fairplay“ ändern?
Ich glaube, dass das eine Grenze sein kann. Denn wenn jemand in Fußball investieren möchte, dann verstehe ich nicht, warum ihm das das nicht erlaubt sein soll. Das kann also eine Grenze sein, auch für die allgemeine Entwicklung im Fußball.

 

Massimo AllegriMassimo Allegri. Foto Pixathlon

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