NICK HORNBY
Der größte Fan der Gunners
Über „Fever Pitch“ müssen keine Lobeshymnen mehr geschrieben werden. In diesem Erfolgsroman beschreibt Nick Hornby seine heftige Liebe zu Arsenal London. Viele Wünsche hat er sich schon erfüllt: Eines der größten war ein Treffen mit Arséne Wenger. RUND hat Auszüge dieses historischen Gesprächs in seiner Ausgabe 8/06 veröffentlicht.



Arsène Wenger und Nick Hornby
Fan der Gunners: Nick Hornby mit Arsène Wenger
Foto Sébastien Dolidon



Viele große Magazine hatten vergeblich versucht, Nick Hornby und Arséne Wenger gemeinsam zu interviewen. Zu beschäftigt waren der Trainer der Gunners und der Autor von „Fever Pitch“. Ausgerechnet dem aus Paris angereisten Journalisten Marc Beaugé gelang der Coup, das erste Gespräch mit den beiden Helden von Arsenal London zu führen. Das Interview erschien erstmals im französischen Fußballmagazin „So Foot“.

Als Arséne Wenger endlich zusagt, ist das Härteste geschafft. Nur noch Nick Hornby muss angerufen werden. „Ja, sicher, wie Sie wollen. Meine Frau bekommt unser Kind in den nächsten Tagen, aber das ist nicht schlimm. Ich werde das hinbekommen. Sie holen mich mit dem Taxi ab und wir fahren zusammen zum Trainingsgelände.“

Eine Fahrt von einer Stunde und das Gefühl, mit einem Kumpel zu reisen. Nick Hornby zeigt seinen i-Pod, reicht die Kopfhörer. Delikaterweise mischt sich Bob Dylan mit Leonard Cohen. Etwas weiter auf der Datenautobahn tritt Suicide Adam Green und Jack White auf die Füße. Hornby träumt schon lange davon, Arséne Wenger zu treffen. Mehrere Magazine hatten versucht, ein gemeinsames Interview zustande zu bringen, erklärt er, aber aus Zeitgründen klappte es nicht. „Ich habe eine Liste mit Fragen, und alle meine Freunde, die Arsenal-Fans sind, haben mich gebeten, mich über die kommenden Zu- und Abgänge zu informieren.“ London entfernt sich von uns, das Grün überwiegt das Grau. Der Fahrer verfährt sich und vergisst, dass der von Wenger festgesetzte Zeitpunkt absolut verbindlich ist.

Zehn, elf, bald 20 Minuten Verspätung. „Wir werden uns anschnauzen lassen müssen“, atmet Hornby schwer, als das Tor von Colney sich endlich öffnet. Noch 50 Meter. Wenger erwartet uns in seinem Büro, wo er von einem Freund auf der Durchreise in Beschlag genommen wird. Überall liegen Videocassetten herum. „Sie haben Verspätung. Wir werden nur eine halbe Stunde reden können“, sagt der offensichtlich gelangweilte Franzose. Das Interview dauert schließlich 90 Minuten. Und Frau Hornby wird am nächsten Tag ein Kind zur Welt bringen.

RUND: Kennen Sie sich?
Nick Hornby: Wir sehen uns regelmäßig nach den Spielen. Wir essen im selben Restaurant neben dem Stadion und David Dein, der Chairman von Arsenal, hat uns einander vorgestellt.
Arséne Wenger: Ja, man begrüßt sich, hat aber noch nie wirklich miteinander geredet.

RUND: Herr Hornby, wie haben Sie reagiert, als Arséne Wenger im September 1996 bei Arsenal anfing?
Nick Hornby: Ich wusste nicht, wer das war! Ich erinnere mich, dass immer wenn ein neuer Manager gesucht wurde, drei oder vier Namen immer genannt wurden. Vor allem Cruyff und Venables wurden erwähnt. Namen voller Sex und Glamour. Und dann Wenger, den niemand kannte. Und in meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass man sich für die farbloseste und trübste Alternative entscheiden würde, und es war unvermeidlich, dass dies Arséne sein würde. Nach dem Titelgewinn 1989 und deiner Ankunft 1996 hatte man uns Einheitsbrei serviert. Es machte keinen Spaß im Stadion, es war schmerzhaft, sie spielen zu sehen. Deine Ankunft hat uns das Vergnügen wiedergegeben. Die Anhänger die am Anfang der 90er-Jahre da waren, konnten das Glück ermessen, das sie seitdem haben. Und nebenbei bemerkt, als du gekommen bist, gab es in der Mannschaft heftige Trinker.
Arséne Wenger: Als ich kam wusste ich, dass es im Klub Probleme mit Alkohol gab. Es gab diese Probleme im übrigen in allen anderen englischen Klubs. In Frankreich rauchen die Spieler. In England trinken sie. Aber ich hatte Glück, dass Tony Adams von seiner Entgiftungskur zurückkam, als ich das Teams übernahm. Die Tatsache, dass er clean war, hat mir sehr geholfen. Das hat mir sehr dabei geholfen, die Mentalität der Spieler zu verändern. Ich hatte den Anführer der Gruppe auf meiner Seite. Das war unverzichtbar. Dank seiner Hilfe konnte ich viele Dinge ändern: die Ernährung, die Trainingsmethoden, wobei ich all das respektiere, was vorher aufgebaut wurde. Im Großen und Ganzen habe ich das Boot fahren lassen – die Spieler sind geblieben – aber ich habe das Wasser rund um das Boot verändert. Das Umfeld hat sich geändert.
Nick Hornby: Die Fans waren anfangs skeptisch, aber das hat nicht lange gedauert. Ein bestimmter Moment hat uns davon überzeugt, dass er der Richtige für die Aufgabe ist: Die Einwechslung von Patrick Vieira in seinem ersten Spiel. Gegen Sheffield Wednesday kam er für Parlour nach 20 Minuten rein. Er war 18 Jahre alt und sofort hat er das Spiel gedreht. Wir lagen 0:1 zurück, bevor er eingewechselt wurde, am Ende hatten wir 4 :1 gewonnen. Ein entscheidender Moment. Wir hatten noch nie einen Spieler dieses Kalibers zuvor gesehen. Er war anders. Einzigartig. Andere Spieler auf diesem Niveau folgten, und heute haben wir diese Mannschaft. Unglaublich. Arséne, du bist ein super Trainer, ein großer Taktiker, ein sehr guter Einkäufer von Spielern, das ist sicher. Aber ich denke, dass deine größte Qualität ist deine Beherrschung der Psychologie. Bist du damit einverstanden?
Arséne Wenger: Ich weiß nicht. Das ist schwer zu sagen. Vor einigen Jahren habe ich Bücher über Psychologie gelesen. Und ich bin in einem kleinen Dorf im Elsass aufgewachsen. Alle kannten sich, alle verkehrten miteinander. Ich hörte die Erwachsenen häufig sagen, was Herrn Sowieso oder Herrn Sowieso betrifft: Er ist „verrückt“, er ist „rückständig“, „zurückgeblieben“. Als Kind hörst du das und stellst dir viele Fragen. Und du versuchst die Leute zu verstehen, genauer hinzuhören. Das ist natürlich, wenn du in einer derart engen Umgebung aufwächst, umgeben von Erwachsenen, auf deren Verhalten zu achten und zu versuchen, es zu verstehen. Ohne Zweifel ist das der Moment, in dem ich lernte zuzuhören und zu analysieren.
RUND: Gibt es Spieler, die Sie niemals packen konnten, rein psychologisch gesehen?
Arséne Wenger: Einen Spieler verstehe ich niemals ganz. Es gibt immer Bereiche des Schattens, der Fragen, der Seltsamkeiten. Aber es gab nie einen Spieler, den ich nicht verstanden hätte, wenigstens zur Hälfte.

 


Historisch: Arséne Wenger und Nick Hornby hatten sich viel zu erzählen Foto Sébastien Dolidon



Nick Hornby: Anelka dürfte nicht leicht zu verstehen sein. Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren im Restaurant war. Es war der Augenblick als er begann, sich über das Leben in London zu beschweren, zu sagen, er ginge niemals aus, er sei genervt und hätte überhaupt keinen Kumpel. Er kam ins Restaurant mit einem Dutzend Kumpels. Ich sagte mir, dass er Freunde gefunden habe, das es besser geworden war. Alle saßen rund um einen großen Tisch, und während des Essens hat Anelka den Kopfhörer seines Walkmans nicht abgenommen. Die anderen diskutierten, aber er hörte seine Musik. Unglaublich.
Arséne Wenger: Ich glaube, dass jeder Spieler ein komplexer Mensch ist. Von der Definition her ist ein Spieler ständig unglücklich. Weil er die Perfektion um jeden Preis sucht. Weil er sich niemals erholen kann und immer arbeiten muss. Die glücklichen Menschen sind diejenigen, die keinen Ehrgeiz haben. Die großen Spieler haben enorm viel Ehrgeiz. Sie leiden permanent. Ich habe neulich ein Zitat gelesen: „Ich kenne viele berühmte Leute, aber ich kenne keine glücklichen darunter.“ Das ist ziemlich genau. Die Leiden, um an die Spitze zu kommen, sind enorm und wenn man dort angelangt ist, hat man Angst, alles zu verlieren. Die großen Spieler fühlen sich gleichsam stark und schwach. Für sie ist das das wichtigste Spiel der Karriere immer das nächste. Sie stellen sich konstant in Frage.
Nick Hornby: Ist das bei einem Trainer genauso?
Arséne Wenger: Genau gleich. Ein konstantes Leiden. Ich stelle mir vor, dass es bei einem Schriftsteller das gleiche ist.
Nick Hornby: Ja, ich denke immer daran, was ich verbessern könnte. Ein Satz, der zu lang ist, ein anderer ist zu kurz. Es ist ein permanenter Kampf mit der Perfektion. Eher damit, mit dem Ergebnis zufrieden zu sein.
Arséne Wenger: Liest du deine Bücher noch einmal?
Nick Hornby: Nur um Korrekturen zu machen. Manchmal gerate ich an einen Auszug, das finde ich immer sehr schlecht. Es ist mir immer unangenehm, meine Bücher aufzuschlagen. Siehst du dir deine alten Spiele an?
Arséne Wenger: Nein. Ich sehe mir zum Beispiel niemals die Spiele an, die ich verliere. Ich analysiere sie nicht. Dafür ist keine Zeit, wir müssen gleich weitermachen, immer nach vorne schauen, um mehr zu schaffen. Es ist wie bei den Schriftstellern. Ich habe den Eindruck, dass sie früher eine Karriere, ein ganzes Leben auf einen Bestseller aufbauen konnten. Heute nicht mehr. Selbst sie müssen regelmäßig etwas produzieren und an den Erfolg anknüpfen.

RUND: Herr Wenger, lesen Sie viel?
Arséne Wenger: Sicher, Romane, Biografien. Im Moment lese ich ein Buch über den Buddhismus.

RUND: Haben Sie „Fever Pitch" gelesen?
Arséne Wenger: Ja. Ein unglaubliches Buch, das die Leute berührt hat. Wenn wir im Ausland spielen, reden alle Leute zu uns von Nick. Sie sagen uns, wie sehr sie sein Buch berührt habe. Ich habe den Eindruck, dass er im Ausland angesehener ist als in England. Und die Journalisten melden sich manchmal, um ihn zu treffen!
Nick Hornby: Bist du Fan einer Mannschaft?
Arséne Wenger: Ich war Fan von Strasbourg. Aber ich erinnere mich, am Anfang war ich Fan unserer Dorfmannschaft. Und ich war sehr motiviert. Ich bin in einer katholischen Umgebung aufgewachsen. Während der Spiele las ich im Messbuch und betete für meine Mannschaft. Völlig verrückt.

RUND: Herr Hornby, wie bei einem Spieler, der plötzlich plötzlich ein hohes Niveau erreicht, der Ruhm, das Geld sind nach dem Erscheinen von „Fever Pitch“ brutal auf Sie eingestürzt. Wie sind Sie damit klargekommen?

Nick Hornby: Ich war 35, als mein erstes Buch herauskam, und ich denke, dass ich bereits die Person war, die ich bis zum Ende sein werde. Es wäre sicherlich anders gewesen, wenn ich bei Erscheinen von „Fever Pitch“ 25 gewesen wäre. Aber in diesem Fall hätte ich kein interessantes Buch geschrieben. Ich denke, man muss mindestens 35 Jahre alt sein, um ein interessantes Buch zu schreiben.

RUND: Als Schriftsteller arbeiten Sie alleine, während Sie Herr Wenger ständig von Spielern umgeben sind. Sind die beiden Elemente, Einsamkeit und die Gemeinschaft jeweils unverzichtbar, um zu arbeiten?

Nick Hornby: Natürlich muss ich beim Schreiben allein sein. Aber ich brauche andere, um arbeiten zu können. Ich rede mit vielen Schriftstellern. Ich brauche das. Selbst wenn mein Job mich dazu zwingt, immer allein in einem Zimmer zu sein, bin ich nicht ungesellig. Ich liebe es über meine Bücher zu reden, über Fußball.
Arséne Wenger: Gelingt es dir, dich selbst zu disziplinieren, um zu arbeiten?
Nick Hornby: Ja ohne Probleme. Ich arbeite jeden Tag von zehn bis 18 Uhr. Mit einer Mittagspause. Es ist nicht schwierig. Wenn man damit beginnt, von der Schriftstellerei zu leben, denkt man sicher während vielleicht sechs Wochen, dass man gammeln, den ganzen Tag Fernsehen kann. Aber die Realität holt einen schnell ein. Man muss Abgabetermine und Planungen einhalten. Man realisiert sehr schnell, dass es um eine Arbeit geht. Hast du schon daran gedacht zu schreiben?
Arséne Wenger: Schreiben ist mein Albtraum! Seit dem ich ein Kind war, habe ich davon Alpträume „ Aber wenn man mir helfen würde, könnte ich ein super Buch schreiben, ein Buch voller Enthüllungen, angefüllt mit Sachen, die die Leute nicht wissen. Das Problem ist, solange ich Trainer bin, könnte ich das nicht machen. Es wäre für mich unmöglich, danach zu arbeiten. Auf jeden Fall habe ich eine tiefe Bewunderung für Schriftsteller. Ich bewundere Menschen, die ihren Beruf bis ans Ende ihres Lebens ausüben können. Das sind häufig künstlerische Berufe. Diese Leute verlieren niemals ihre Leidenschaft. Sie brauchen keinen Ruhestand.
Nick Hornby: Aber eine Mannschaft aufzubauen, ist genauso schön, wie ein Buch zu schreiben. Die guten Mannschaften brauchen genauso lange wie große Bücher. Die Leute werden von dieser Mannschaft noch in vielen Jahren sprechen.
Arséne Wenger: Vielleicht. Es ist ein wahres Geschenk Gottes, sein ganzes Leben mit der gleichen Leidenschaft leben zu können wie ein Schriftsteller. Selbst mit 70 Jahren kann er noch ein neues Buch beginnen. Er ist von nichts anderem abhängig als seinem Willen. Das ist außergewöhnlich. Es wird immer irgendetwas geben, woran man denken kann, an ein Thema, über das man sich aufregen kann, ein Antrieb.
Nick Hornby: Denkst du nicht daran, in hohem Alter zu trainieren, wie zum Beispiel Bobby Robson? (Der Trainer von Newcastle war zu diesem Zeitpunkt 72 Jahre alt, Anm. d. Red.)
Arséne Wenger: Nein, ich bin nicht sicher, für sehr lange Zeit die Kraft aufwenden zu können, die der Trainerberuf verlangt. Ich arbeite ohne Pause, sehr stressig. Immer stressiger. Der Klub macht Fortschritte, aber man zahlt den Preis dafür. Die Erwartungen steigen und damit der Druck.
Nick Hornby: Um mit dem Trainerberuf weiterzumachen. Man sagt oft, dass sie mit einigen Worten in der Halbzeit den Verlauf eines Spiels verändern könnten. Ich kann das kaum glauben. Ich denke, der Job des Trainers ist vor Spielbeginn getan.
Arséne Wenger: Ich denke, dass ich Einfluss in der Halbzeit habe. Es wäre eingebildet zu sagen, dass ich ein Spiel ändern kann, aber ich kann vielleicht das eine Prozent bringen, das der Mannschaft fehlt. Das Geheimnis ist, die Taktik und Motivation der Spieler zu dosieren. Die Dosierung ist heikel. Ich könnte bei jedem Spiel verrückt werden. Bei jedem Spiel. Aber ich vermeide es, mich gegen einen Spieler vor dem Rest der Mannschaft dazu hinreißen zu lassen. Im Allgemeinen ziehe ich es vor, die Spiele ruhig zu analysieren. Ganz vernünftig. Wir haben die Statistiken über das Spiel, das Spielgeschehen, man beurteilt die Spieler so wissenschaftlich wie möglich.


Er steht auf und kommt mit einem Heft, das mit Aufzeichnungen über Spieler vollgeschrieben ist. Überall Zahlen und Bewertungen „mittel", „gut", „sehr gut".

Arséne Wenger: Auf eine Art ist das mein Bewertungsheft. Schau dir die Statistiken über Thierry Henry an. Es gibt die üblichen Informationen: das Gewicht, die Größe, die Läufe, der Antritt, die Entspannungsphase, die maximale Geschwindigkeit usw. Dann, Spiel für Spiel, alle seiner Statistiken. Ich habe ein System entwickelt, die Spieler so wissenschaftlich wie möglich anhand von Zahlendaten zu bewerten. Aber das Wichtigste bleibt das Subjektive. Der Eindruck, den ich beim Spiel habe.
Nick Hornby: Eine andere Frage. Welche Art von Musik hören die Spieler in der Umkleide vor den Spielen?
Arséne Wenger: Etwas sehr seltsames! Wie heißt das: Rep, Rap? Heißt das so? Amerikanischer Rap glaube ich, ja.
Nick Hornby: Sag ihnen, sie sollen „London Calling“ von den Clash spielen!

Übersetzung: Matthias Greulich

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