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„Ich kannte Robert als sehr sachlich und detailverliebt“
Mit Robert Enke tüftelte Lothar Bissinger gemeinsam an dessen Torwarthandschuhen. Der Servicetechniker von Uhlsport holt ein Paar heraus. „Das sind die Handschuhe mit der Änderung am Verschluss, so wie Robert sie wollte“, sagt Bisinger, zieht die Handschuhe vorsichtig aus ihrer Hülle, streicht über sie. Enke hat sie nie getragen. Von Stefan Kühlborn.

 

Robert EnkeEin Foto aus dem Sommer 2005: Robert Enke
Foto Cecil Arp

 

An der Wand hängt ein Werbeplakat mit Pepe Reina (FC Liverpool),  Hugo Lloris (Olympique Lyon)  und ein paar von den anderen, die in den großen Clubs dieser Welt zwischen den Pfosten stehen. Daneben eine Weltkarte. Auf dem Monitor flackert der hauseigene Bildschirmschoner: ein grüner Rasen und das rot-schwarze Logo von „Uhlsport“. Auf dem Schreibtisch steht eine Tasse mit dem Wappen des SV Heiligenzimmern.

Das ist der Verein von Lothar Bisinger, 54 Jahre alt, gelernter Maschinenbautechniker, passionierter Torwart - natürlich, später Spielertrainer. Das ist sein Büro. Auf dem Boden stehen Kartons mit der Handschuhkollektion der neuen Saison. Im hinteren Drittel des Raumes steht ein großer blauer Metallschrank. Bisinger öffnet ihn: Handschuhe, Ordner. Bisinger, über 190 Zentimeter groß, greift in das oberste Fach. Er holt ein Paar original verpackte Torwarthandschuhe heraus. Sie sind weiß mit grau und rot, den Trikotfarben von Hannover 96, und aus sieben Millimeter dickem Latexhaftschaum. Im Laden kann man sie nicht kaufen.

Auf der Innenseite steht „Uhlsport“, auf dem weißen Verschluss „Enke“.

„Das sind die Handschuhe mit der Änderung am Verschluss, so wie Robert sie wollte“, sagt Bisinger, zieht die Handschuhe vorsichtig aus ihrer Hülle, streicht über sie und zeigt sie mir. Enke hat sie nie getragen.

Bisinger arbeitet als Servicetechniker für die Firma Uhlsport, einem Fußballausrüster mit Sitz in Balingen, der auf Torwarthandschuhe spezialisiert ist. Er ist für die Betreuung der Profi-Torhüter zuständig. Bisinger lernte Robert Enke im Sommer 2002 kennen. Enke, damals 25, absolvierte mit dem FC Barcelona, zu dem er gerade gewechselt war, ein Trainingslager in Genf. Uhlsport hatte einen Ausrüstervertrag mit ihm abgeschlossen und schickte Bisinger mit den neuen Handschuhmodellen in die Schweiz. Enke sollte sie testen.

Als der FC Barcelona, bei dem Enke unter Trainer Louis van Gaal keine Chance bekam, den Torwart an den CD Teneriffa in die zweite spanische Liga verlieh, bekam das Unternehmen logistische Probleme. „Da die normalen Paketdienste die Insel nicht belieferten, mussten wir einen speziellen Paketdienst mit der Lieferung von Roberts Handschuhen beauftragen“, sagt Bisinger. Die Kisten waren groß, da Enke nicht nur für sich, sondern auch für seine beiden Torwartkollegen, Alvaro Iglesias und Adolfo Baines, mit denen er sich gut verstand, Handschuhe bestellte. „Robert war sehr dankbar. Im Nachhinein denke ich, dass es wichtig für ihn war, dass wir ihn in dieser Zeit genauso behandelt haben, wie zuvor in Barcelona“, erinnert sich Bisinger.

Bisinger hat Enke während dessen gesamter Karriere als „einen sehr sachlichen und detailverliebten Menschen“ kennen gelernt, „Robert hatte viele Ideen und Wünsche, wie seine Handschuhe sein sollten“. Bisinger bemühte sich, diese Wünsche zu erfüllen.

 

Robert EnkeIm Tor von Hannover 96: Robert Enke Foto Hochzwei

 

Er erzählt davon, dass er vor jeder Saison mehrere Versuche brauchte, bis Robert Enke mit den Handschuhen zufrieden war. Gerade im letzten halben Jahr seines Lebens beschäftigte sich Enke sehr intensiv mit seinen Handschuhen, erzählt Bisinger: „Immer wieder sagte er, dass er sich im Handschuh nicht wohl fühle und dass er Änderungen bräuchte.“ Es ging darum, dass die Naht am Daumen außen und an den anderen Fingern innen sein sollte, und schließlich um den Verschluss. Am 8. November 2009 sprach Bisinger noch einmal mit dem Schlussmann von Hannover 96. „Robert wollte den Verschluss minimal verbreitert haben“, sagt Bisinger. Diese Änderung leitete Bisinger sofort in die Wege. Zu einem Treffen mit Enke kam es nicht mehr.

„Ich habe von seinem Tod im Fernsehen erfahren“, schildert Bisinger seine Erinnerungen an den 10. November 2009. Aus der Türkei, Italien, Portugal riefen am späten Dienstagabend Torhüter bei Bisinger an. Sie wollten genauere Informationen. „Ich habe jedem gesagt, dass es nur ein Unfall gewesen sein kann“, sagte Bisinger.

Er hält mir die Handschuhe Enkes hin. Ich schaue sie an, ich taste sie ab. Ich spüre den Unterschied zu meinen Handschuhen, obwohl es fast dieselbe Größe ist. So viel macht ein Millimeter Latexhaftschaum aus. Ich drehe sie herum, ich fühle mit dem Zeigefinger den Verschluss. Dort, wo „Enke“ steht.
Bisinger fragt: „Möchten Sie die mal anziehen?“ Ich sage „nein“.



Lothar BissingerMit den Handschuhen, die Robert Enke nie trug: Lothar Bissinger
Foto Stefan Kühlborn

 

 

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