die wM meines lebens
Zähne putzen mit Cola
Bei vielen, die dabei waren, gilt die Weltmeisterschaft 1970 als die schönste überhaupt. Der Hamburger Bernd Greulich hat seine Erinnerungen an die Traumreise in einem einzigartigen Album festgehalten. Von Matthias Greulich.

Trainingslager DFB 1970 Mexiko
Maier neben Greulich: Der
WM-Tourist beim Training der DFB-Elf 1970 in León
 

Die Bilder stecken in Klarsichthüllen, sie haben mit den Jahren begonnen, an dem Plastik zu kleben. Wenn Bernd Greulich sie jetzt vorsichtig herausnimmt, wird das Mexiko von 1970 wieder lebendig. Ganz vorne kleben die Eintrittskarten aus León, wo die deutsche Elf die Vorrunde der WM und das Viertelfinale gegen England spielt und vom Atztekenstadion in Mexiko City, wo Greulich das Halbfinale gegen Italien, das Spiel um Platz drei und das Finale Brasilien gegen Italien sieht.


Und wie war das „Jahrhundertspiel“ Bundesrepublik Deutschland gegen Italien? Ganz toll, natürlich, sagt er. Aber eindrucksvoller ist für den damals 28-Jährigen der Sieg gegen England, als Franz Beckenbauer, der damals noch im Mittelfeld spielt, gemeinsam mit Uwe Seeler die DFB-Elf bei der Revanche des WM-Finales von 1966 zu Höchstleistungen antreibt. Die auf dem Ticket abgebildete Uhr anzeigt zwölf Uhr Mittags als Anpfiff. In der Sonne ist es kaum auszuhalten – als Gerd Müller in der 108. Minute das entscheidende 3:2 per Seitfallzieher erzielt, wird Greulich beim Torjubel auf der Tribüne schwarz vor Augen. Den Spielern muss es ähnlich ergangen sein, die letzten zwölf Minuten stolpern sie eher auf dem Rasen umher als dass sie noch koordiniert laufen können.

Mit einem grünen Filzstift hat der Reisende aus Deutschland die selbst gemachten Farbfotos beschriftet: „Das Löwentor in León“. Der Spielort hat einige Sehenswürdigkeiten, er ist Hauptstandort der mexikanischen Lederindustrie. Dem Autor bringt sein Vater handgenähte Schuhe mit, die einem Dreijährigen gut passen. „Ananasstand auf dem Gemüsemarkt“, „Marktleben mit Indiofrauen“ steht im Album, der Hamburger arbeitet in Mexiko als Ernährungsberater für ein deutsches Restaurant und überwacht die Einkäufe, damit die Europäer keine Durchfallerkrankungen bekommen. Er selber bleibt von „Montezumas Rache“ verschont, weil er auf einheimische Salate verzichtet und sich die Zähne lieber mit Cola putzt als das Leitungswasser zu benutzen.

Nach dem ersten Gruppenspiel der Deutschen gegen Marokko wird das Restaurant vom deutschen Betreiber geschlossen, der sich mehr Profit durch die Vermietung von Hotelzimmern in León verspricht. Viele Fans wohnen in Mexiko City, 400 Kilometer vom Spielort entfernt, einige wollen nicht mehr pendeln. Es gibt viele „Schlachtenbummler“, deren Unerfahrenheit von deutschen Reiseveranstaltern ausgenutzt wird. Schon auf dem 14-stündigen Hinflug bekommt Greulich mit, wie einige Fluggäste einige hundert Mark nachzahlen müssen, in Mexiko sind die gebuchten Hotelbetten dann manchmal noch mehrfach belegt.


WM 1970 Erinnerungen
Eintrittskarte fürs WM-Finale:
Erinnerungen von der bislang schönsten WM. Foto Benne Ochs


Bernd Greulich ist über die Schließung des Restaurants nicht traurig, sein Rückflugticket ist gültig und er hat nun mehr Zeit, um das Land mit seiner Praktica-Kamera zu bereisen. Der angenehmste Ort der Stadt ist der FC Juventud mit seinem Schwimmbad. Dort sind auch die Fifa-Schiedsrichter; mit den zahlreichen Deutsch-Amerikanern, die aus San Francisco angereist sind, kommt es zu einem spontanen Fußballspiel gegen die Schiris. Tofik Bachramow, der 1966 noch als Linienrichter das Wembley-Tor gesehen haben wollte, ist mit von der Partie. Vom FC Juventud ist es nicht weit zum Stadion, auf dessen Nebenplatz das Training der Nationalmannschaft stattfindet. Helmut Schön hat nichts gegen Zuschauer, man muss am Eingang nur den Reisepass vorzeigen, Fotografieren ist erlaubt. Zum DFB-Quartier nach Comanjilla fahren die Fans 30 Kilometer mit dem Sammeltaxi durch die Wüste. Man darf überall hin, soll die Spieler aber möglichst nicht ansprechen. Das übernehmen die Journalisten, die mit den Unzufriedenen im Team am Pool reden. Der Kölner Manfred Manglitz, der als dritter Torwart nicht eingesetzt wird, beklagt sein Schicksal am lautesten.

„Mexikanische Sportfreunde. Szene Marokko – Deutschland“, die Mexikaner tragen einen Sonnenschutz aus Pappe. „Stern-Reporter Heiko Gebhardt, wohlbehütet“, steht vor Greulich, im Album klebt sein Text vom 14. Juni 1970: Weit von der Heimatredaktion entfernt, lässt Gebhardt seiner Fantasie freien Lauf. Er schreibt, dass ein deutscher „Schlachtenbummler“ mitgebrachten Korn der Marke „Weizenjunge“ unter den mexikanischen Zuschauern kreisen lässt, um so zusätzliche „Uwe“-Rufer anzuwerben. Als Greulich das später im „Stern“ liest, kann er nur lachen. Am Eingangstor gibt es eine Leibesvisitation und keine Chance, Flaschen ins Stadion zu schmuggeln. Wie das in der Illustrierten abgebildete Schwarzweißfoto entstanden ist, weiß er. Die am verwegensten aussehenden WM-Touristen werden in die Wüste gefahren, setzen Sombreros auf, auch die Flasche „Weizenjunge“ darf nicht fehlen.
 
Die Mexikaner brauchen allerdings keinen Korn zu trinken, um Seeler und seine Mitspieler anzufeuern. Sobald sich ein Deutscher blicken lässt, sind „Viva Alemania“-Rufe zu hören – ähnlich beliebt sind nur noch die Brasilianer.
 
Die DFB-Elf muss für das Halbfinale in die Hauptstadt umziehen. Die Kathedrale, der Torre Latinoamericana, die Universität, Greulich hat jetzt auch Postkarten in sein Album geklebt, wegen der Regenzeit fotografiert er wenig. Ins riesige Aztekenstadion nimmt der WM-Fotograf seine Kamera dennoch mit. Er sitzt ganz weit oben, die Spieler sind noch kleiner als in León, hier hätte auch ein Teleobjektiv nicht viel ausrichten können.


 
Aztekenstadion 1970Das Aztekenstadion vor dem Spiel um den dritten Platz bei der WM 1970: Westdeutschland gegen Uruguay. Foto: Bernd Greulich

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