THEMENWOCHE: NAZIS IM SPIEL
Neonazi-Angriff auf jugendliche Fans in Bremen
Das Bremer Weserstadion zählt nicht zu den Orten, an denen man rechtsradikale Umtriebe vermutet. Werder gilt als Wohlfühlklub von nebenan, Spitzenfußball in idyllischer Atmosphäre. Spätestens seit drei Wochen ist es mit der Beschaulichkeit vorbei: Nazihooligans überfielen die Einjahresfeier der Ultragruppierung „Racaille Verte“ im Ostkurvensaal des Weserstadions.

RUND #19 Februar 2007


Bremer Fans zeigen im Weserstadion Flagge gegen die NPD Die Angreifer sind alles andere als unbekannt. Seit Jahren gibt es personelle Überschneidungen zwischen Teilen der Hooligangruppen „Standarte Bremen“, „City Warriors“, ihres Nachwuchses „Nordsturm“ und der örtlichen Neonaziszene, vornehmlich den "Freien Nationalisten Bremen". Bremer Hooligans sind regelmäßige Teilnehmer an Neonaziaufmärschen und -veranstaltungen in ganz Deutschland und machen als Anti-Antifa-Aktivisten Jagd auf vermeintliche Linke. Einer von ihnen, Hannes O., vorbestraft wegen eines Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft im Jahre 1991, hat es als Exsänger der rechten Hooliganband „KC - Hungrige Wölfe“ in der deutschen Szene zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht. Auch er soll laut Augenzeugen an dem Angriff im Weserstadion beteiligt gewesen sein.

Der Überfall, bei dem mehr als 150 der anwesenden Gäste verletzt wurden, kam nicht von ungefähr. Es rumort schon seit einiger Zeit in der Bremer Fanszene. Die Hooligans stören sich an antirassistischen Kräften, die inzwischen in der Bremer Fankurve herrschen. Sie haben Angst, dass ihnen die antirassistisch gesinnten Ultras nach und nach den Rang ablaufen. Während Ultragruppen wie „Racaille Verte“ und „Infamous Youth“ für viele jugendliche Fans immer attraktiver werden, sehen die Hooligans den Nachwuchs schwinden. Die Ultras sorgen für Stimmung und setzten sich gleichzeitig immer wieder auf Spruchbändern gegen Rassismus ein. Fans, die Kleidung mit erkennbar rechtsextremer Symbolik tragen, werden in der Kurve nicht geduldet. Eigeninitiative, wie man sie sich in allen Stadien Deutschlands wünscht. Für die Hooligans jedoch eine Art Kriegserklärung. Auf ihrer Homepage schreibt die „Standarte“ von „linksfaschistischen Hobby-Politkommissaren“, welche „die letzten Freiräume von unabhängigen und freien Jugendkulturen mit Gewalt ,plattmachen’“ wollen. Während sie sich als Opfer von „Gesinnungsschnüfflern“ wähnen, stellen sie eine reale Gefahr für viele der jugendlichen Fans dar.

„Es existiert hier eine ständige Bedrohung im Stadionumfeld“, sagt ein Vertreter einer Ultragruppe, der namentlich nicht genannt werden will. Nur wenige der am Überfall beteiligten Hooligans gehen nach wie vor ins Stadion, der Rest sitzt während der Spiele in ihrer Stammkneipe, die sich jedoch nur einen Steinwurf vom Stadion entfernt befindet. „Es wurden wiederholt Leute bedroht, verfolgt, geschlagen, teilweise auch im Stadion selbst“, so der Ultravertreter weiter. „Von den Ordnern können wir keine Hilfe erwarten, da sie zum Teil mit eben jenen Leuten befreundet sind“, erzählt er gegenüber RUND. Einzelne Mitglieder des Ordnungsdiensts sollen über die „Hells Angels“ und die Türsteherszene beste Kontakte und Geschäftsbeziehungen zu den Neonazis haben. Kein Wunder, dass niemand es wagte die namentlich bekannten Täter anzuzeigen. Man könnte ihnen morgen wieder über den Weg laufen.

Auch im sozialpädagogischen Werder-Fanprojekt können Fans sich nicht immer sicher fühlen. In den Räumlichkeiten des Ostkurvensaals, der vom Fanprojekt verwaltet wird, wurde die Anwesenheit von bekannten Personen aus der Nazi- und Hooliganszene in der Vergangenheit immer wieder geduldet. Nach dem Überfall bot das Fanprojekt den Ultras einen „runden Tisch“ an. Gesprächspartner: Eben jene Angreifer, die eben noch Freunde und Bekannte zusammengeschlagen hatten. Ein „runder Tisch“ mit Nazis und Schlägern? Die Ultras lehnten ab. Nur allzu verständlich. Wochenlang schwieg der Verein zu all diesen Vorfällen. Erst zwei Wochen nach dem Überfall kam es zu einem Treffen zwischen Vorstand und Fanvertretern, um welches letztere gebeten hatten. Die Vorstandsmitglieder ließen sich über die Zustände informieren und zeigten sich bestürzt. Den Fans wurden Reaktionen seitens des Vereins versprochen. Im Gespräch waren Stadionverbote, ein Verbot rechter Symbolik im Stadion und eine Kennzeichnung der Ordner.

In einem ersten Statement des Vereines heißt es: „Werder Bremen verurteilt auf das Schärfste jede Form von Gewalt, Rassismus und Diskriminierung und wird auch weiterhin mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorgehen. Der Verein bittet die Öffentlichkeit um entsprechende Unterstützung und Zivilcourage im Kampf gegen Fußball-Gewalttäter.“ Weiterhin ließ der Verein verlauten, dass „das Fan-Projekt Bremen e. V. Anzeige erstatten und Hausverbote für den Ostkurvensaal aussprechen werde“. Keine Worte jedoch der Solidarität mit den betroffenen Fangruppen. Sollte sich dies nicht schnellstens ändern, könnte der Überfall genau den Effekt haben, den sich die Neonazis wünschen: Eine eingeschüchterte Fanszene, die sich zu wehren nicht in der Lage ist.
Martin Endemann

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