Interview
„Wir wollen ein Zeichen setzen“
Nach den letzten Derbys im Revier gab es Auseinandersetzungen und Stadionverbote. Patrick Arnold, Leiter des Fanprojekts in Gelsenkirchen ärgert sich über die Krawalltouristen und lebt mit den Kollegen der anderen Fanprojekte Toleranz vor – besonders gegenüber Dortmundern. Interview Matthias Greulich

patrick arnold

„Wir leben Toleranz vor“: Patrick Arnold, Leiter des Fanprojekts in Gelsenkirchen



 

RUND: Herr Arnold, gibt es keinen Stress, wenn sie Jugendliche aus Schalke und Dortmund gemeinsam auf Reisen schicken?
Patrick Arnold: Nein. Wir sind zusammen mit allen Kindern der NRW-Fanprojekte zur Europameisterschaft gefahren – um ein Zeichen zu setzen. Man kann davon ausgehen, dass sie sich jetzt anders begegnen, wo die sich inzwischen ein bisschen kennen. Sie sehen, dass die Leute eigentlich genauso drauf sind wie wir und dieselben Probleme haben. Man muss sich doch nicht hassen, weil man Fan von Schalke und der andere Dortmunder ist.

RUND: Die Kollegen aus Dortmund sehen das genauso?
Patrick Arnold: Aber klar. Wir arbeiten sehr eng mit den Kollegen der anderen Revierklubs zusammen
und versuchen, Toleranz vorzuleben. Und wir spielen hier Fußball gegen die Kids von Borussia Dortmund, gegen die vom VfL Bochum und der anderen Vereine.

RUND: Was tun Sie, wenn sich die Stimmung vor den Derbys gegen Dortmund aufheizt?
Patrick Arnold: Schon im Vorfeld des Derbys treffen wir uns mit dem Fanprojekt, dem Fanbeauftragen und Sicherheitsbeauftragten von Borussia Dortmund, um über die aktuelle Entwicklung zu reden. Wir reisen selber mit den Fans an und begleiten die. Wenn es da Probleme gibt, können wir helfen.

RUND: Wie war die Lage bei den letzten Revierderbys?
Patrick Arnold: In den 80er- und Anfang der 90er-Jahre waren die Derbys richtig brisant. Mitte der Neunziger ist es ein bisschen eingeschlafen. Ich kann mich an Spiele erinnern, an denen gar nichts passierte. Man konnte anschließend ganz ruhig durch Dortmund laufen. Mittlerweile ist es wieder brisanter geworden. Allerdings eher in Dortmund. Da gibt es immer eine Fanvermischung direkt nach dem Spiel. Dagegen ist das bei uns in der Arena alles perfektioniert worden.

RUND: Und die letzten Male?
Patrick Arnold: Da hatte es im Vorfeld viele Provokationen gegeben. Von beiden Seiten der Fanszenen. Am Spieltag gab es dann leider Vorfälle, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen ist. Ich denke, dass die von beiden Gruppen verursacht worden sind.

RUND: Gibt es Probleme, wenn neue Fans nachwachsen?
Patrick Arnold: Das Problem haben wir hier in Gelsenkirchen nicht, dadurch, dass wir relativ dicht an den Fans dran sind und die meisten Leute kennen. Nur gerade bei Derbys kommen Leute, die ich mal „Krawalltouristen“ nennen möchte. Die kennen wir dann gar nicht, und die kann keiner einordnen. Das Problem gibt es auch in Dortmund.

RUND: Wo treffen sich die Fans am Spieltag?

Patrick Arnold: Unsere Räumlichkeiten in der Glückauf-Kampfbahn ist die Anlaufstelle. Von dort geht es mit der Straßenbahn ins Stadion. Damit alle in der Gruppe zusammenfahren können, kommt die Straßenbahn aus Gelsenkirchen leer an. Das ist für die Jungs top, es gibt kein Verkehrschaos und ist sicherer.

RUND: Spielen Hooligans in der Fanarbeit eigentlich noch eine Rolle, oder geistern die nur noch in den Medien herum
Patrick Arnold: Die gibt es noch und die kommen auch. Die Gruppe ist 40, 50 Leute groß. Die sind alle ein bisschen in die Jahre gekommen. Sie haben eine eigene Kneipe, wo sie sich wohlfühlen. Und sie gehen zum FC Schalke 04.

RUND: Aber sie verabreden sich nicht mehr im Wald, um sich zu prügeln?

Patrick Arnold: Dass sich Hooligans im Wald oder auf irgendwelchen Wiesen treffen, gibt es auf jeden Fall. Aber die Hooligans aus Gelsenkirchen machen da nicht mit.

RUND: Sie betreuen Jugendliche und junge Erwachsene aus der aktiven Fanszene. Gibt es Probleme mit Stadionverboten?
Patrick Arnold: Es wurden einige Stadionverbote verhängt, die meisten stammen aus den letzten beiden Derbys. In der Fanszene steht die Frage im Raum, ob die alle gerechtfertigt sind. Wir begleiten die Jugendlichen zu Vernehmungen und zu Gerichtsverhandlungen. Als Fanprojekt versuchen wir aus Sicht eines Sozialarbeiters draufzugucken, und zu sagen: „Kann man da nicht etwas machen?“ Insgesamt eine schwierige Situation.

RUND: Die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist als hart bekannt.
Patrick Arnold: Das kann man so sagen. Die haben das hier von den Abläufen her, ziemlich gut im Griff. Kräftemäßig sind sie auch meist ziemlich gut aufgestellt. Und die Beamten greifen dann auch rigoros durch.

RUND: Sie besuchen auch Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt. Wie muss man sich das vorstellen?
Patrick Arnold: Das läuft ganz unkonventionell ab. Manchmal bekommen wir Briefe aus dem Gefängnis, die meisten schreiben, ob wir ihnen Fanartikel oder Poster besorgen könnten, damit sie sich ihre Zelle verschönern können. Wir versuchen dann, einen Briefverkehr aufzubauen. Wenn jemand in der JVA einsitzt, den wir aus der Fanarbeit schon kennen, dann ist der Kontakt intensiver. Dann haben wir auch Kontakt mit der Sozialarbeiterin in der JVA, oder mit der Psychologin. Dann war es auch schon mal so, dass wir Besuch zu einem Spiel bekommen haben. Ich habe dann Eintrittskarten besorgt, wir sind dann mit dem Klienten und seiner Psychologin ins Stadion gegangen. Vorher sind wir dann einige Szenetreffpunkte abgelaufen, damit sie sieht, wie sich der Klient in seinem Umfeld verhält.

RUND: Andersherum sind Sie mit Ihren Jugendlichen auch zum Fußballspielen in die Justizvollzugsanstalt Bochum gefahren.

Die Jugendlichen sind da erstmal ziemlich ruhig. Die sind ja sonst eher etwas lauter. Dann sind wir in die Halle und haben Shakehands mit den Insassen gemacht und uns auf Fairplay verständigt. Es lief ab wie ein ganz normales Fußballspiel. Hinterher haben wir gemeinsam gegrillt und Kaffee getrunken. Die Häftlinge haben sich sehr gefreut und wir sind jetzt schon dreimal dagewesen. Das war auch für mich als Sozialarbeiter spannend und hat Spaß gemacht.

RUND: Als weniger aufregend wird inzwischen die Stimmung bei den Heimspielen der Schalker in der Arena bezeichnet. Wie wird das in der Fanszene gesehen?
Patrick Arnold: Das sehen die Fans kritisch. Die Zuschauerstruktur im Stadion hat sich – auch durch die steigenden Eintrittspreise - massiv verändert. Es ist nicht mehr so eine reine Sportveranstaltung wie früher im Parkstadion, sondern Sport mit Entertainment. Die Stimmung leidet darunter, dass verstärkt Leute ins Stadion kommen, die sich unterhalten lassen wollen.

RUND: Bieten die Spiele der Schalker-Amateure eine Ausweichmöglichkeit?
Patrick Arnold: Die Amateure werden eher von einem kleinen Kreis der Fanszene besucht. Seit Schalke regelmäßig international spielt, ist es schon ein heftiges Programm, was bei den Profis ansteht. Es gibt ein, zwei Aktionen im Jahr von den Ultras, die dann mit allen Fans hinfahren, die Stadionverbote haben. Es werden Klubs wie Erkenschwick oder Herne ausgesucht, die momentan nicht ganz so gut dastehen.


Fanprojekt

Anlaufstelle für Schalke-Fans: Das Fanprojekt ist in den Räumen einer ehemaligen Zeche untergebracht. Am Spieltag trifft man sich in der Glückauf-Kampfbahn.

Zurück  |