FRANKREICH
Die sieben Todsünden
Vor elf Jahren gewannen sie den Europapokal der Pokalsieger, nun drohte zwischenzeitlich sogar der Abstieg in die zweite Liga. Dass Paris Saint-Germain das riesige Potenzial der französischen Hauptstadt nicht nutzen kann, ist kaum zu fassen. Ein Erklärungsversuch in zwei Teilen von Jér√¥me Bac

David N'Gog
Schlechte Infrastruktur: Der PSG-Profis David N‚ÄòGog (re.) muss auf einem Platz trainieren, der nicht den Normen entspricht. Boukary Dramé (li.) wechselte zum FC Sochaux Foto Kai Müllenhoff



Ein Trainingstag bei Paris Saint-Germain. Fährt man über die Autobahn, braucht man vom Zentrum von Paris 45 Minuten. Saint-Germain-en-Laye ist einer der schicksten Vororte der Metropole. Das Trainingszentrum Camp des Loges quetscht sich zwischen einen Wald und ein Gymnasium. Für die Strecke von den Umkleideräumen zu den Trainingsplätzen kauern sich die Fußballer wie eine Provinzelf auf den Bodenblechen alter Lieferwagen zusammen. Interviews finden in einem staubigen Raum statt, geschmückt mit Werbepostern, die noch aus den 70er-Jahren stammen. Ein Spieler, der anonym bleiben will, beklagt sich bitterlich: „Das sind die Einrichtungen eines Amateurklubs. Es ist eine Schande, hierher zu kommen, es deprimiert mich.“ Alain Giresse, ehemaliger Trainer von PSG, erinnert sich: „Als ich das sah, hat’s mir die Socken ausgezogen. Das war eines Profiklubs einfach unwürdig. Zum Beispiel entsprach der Trainingsplatz schon von der Größe her nicht den Normen. Man konnte nicht taktisch trainieren, das brachte gar nichts.“

Das 1904 eingeweihte Sportzentrum wurde in den 80ern zum letzten Mal renoviert. Seither fordern alle Präsidenten des Klubs von der Gemeinde Saint-Germain, der das Grundstück gehört, die Einrichtungen auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen. Vergeblich. Der gegenwärtige Präsident Alain Cayzac bedauert: „Wir würden gerne umziehen, aber das ist momentan zu teuer. Dieses Trainingszentrum entspricht in gar keiner Weise dem Niveau des Klubs.“ Doch, es entspricht nur zu genau dem Niveau des Klubs.

PSG stand in der vergangenen Saison kurz davor, in die zweite Liga abzusteigen. Der absolute Tiefpunkt der Vereinsgeschichte konnte knapp vermieden werden. Aber spielt das überhaupt noch eine Rolle? PSG bleibt krank, morsch, labil, unsicher, nichtswürdig, ungesund, unglücklich. Ein verdammter Klub. Ein Klub, der alle Voraussetzungen zum Erfolg mitbringt, und der alles tut, um diesen Erfolg zu verhindern. Seit zehn Jahren begeht PSG alle nur vorstellbaren Irrtümer und taumelt von Panne zu Panne. Seit zehn Jahren sucht man die Seele dieses Klubs und findet: nichts. Keine Mannschaft, in keiner europäischen Hauptstadt, weist gegenwärtig eine katastrophalere Bilanz auf. Sieben Todsünden zerfressen den Pariser Klub.

1. Das Stadion
Seit seiner Gründung 1970 spielt PSG im Parc des Princes. Ein schönes Stadion. 45.000 Plätze. Nur wenige Kilometer weiter nördlich liegt das Stade de France. Ein fantastisches Stadion. 80.000 Plätze. Ein Stadion, ohne einen dort ansässigen Klub. 1998, bei dessen Einweihung, hatte der Klub angekündigt, er würde gern das Stade de France übernehmen. Seither: nichts. Der Vorstand hat die Sache nicht weiter verfolgt. Bernard Lama, in den 90er-Jahren der legendäre Keeper von PSG, umreißt das Problem: „Hätte sich der Klub im Stade de France etabliert, hätte das einen positiven Sog erzeugt. Spieler wären in den Klub geströmt, um in diesem Stadion zu spielen, auch für die Fans wäre es einfacher geworden. Das Stadion wäre vielleicht nicht bei jedem Spiel bis auf den letzten Platz besetzt, aber es hätte eine außergewöhnliche Wettkampfatmosphäre geherrscht. Erneut hat sich PSG daneben gesetzt“ – und das Feld anderen überlassen: Regelmäßig fallen die Rugbyspieler von Stade Fran√ßais ein und füllen die Arena bis zum Rand. Und zu den bizarren Trainingsbedingungen, unter denen die teuren Profis leiden, ist bereits alles gesagt.

2. Die Vorstädte – ein nicht genutztes Potenzial
„Versteht sich PSG als Klub der Schönen und Reichen des 16. Arrondissements oder will er der Klub der Vorstädte mit ihren Millionen Jugendlichen sein?“, fragt Lama. Bei den acht Millionen Menschen im Großraum Paris hat es PSG nicht einfach. Das Fachblatt „France Football“ machte eine Umfrage unter jungen Fans in den Vorstädten. 38 Prozent bevorzugen Olympique Marseille, PSG nur 25 Prozent.

Beim Aufspüren junger Spielertalente ist es noch schlimmer. Wegen der schlechten Nachwuchsförderung ziehen sie es vor, nach Auxerre, Le Mans oder Lens zu gehen; zu Klubs nicht fern von Paris und bekannt für ihre gute fußballerische Ausbildung. Jér√¥me Rothen, einer der wenigen Spieler des Vereins, der aus einer Pariser Vorstadt stammt, bezeugt: „Ich war noch ganz klein und schon Fan von PSG, aber als ich soweit war, hat der Klub mir keinen Vertrag angeboten. Ich ging daher nach Caen, obwohl ich in Paris mit geschlossenen Augen unterzeichnet hätte. Er ist nun mal mein Klub. Nur habe ich dort niemals jemanden getroffen, der mich gefördert hätte.“ Als er 2004 von Monaco kommend bei PSG unterschrieb, kostete er 10 Millionen Euro.

3. Die Spieler – verloren in der Metropole
Es ist eine Konstante, fast ein Witz: Ein guter Spieler unterzeichnet einen Vertrag in Paris, und im Nu verwandelt er sich in einen mittelmäßigen Spieler. Wenn nicht schlimmer. Alain Giresse, 1998 für einige Monate Trainer bei PSG: „In Paris wie in Marseille braucht man besondere Spieler, charakterfest und willensstark. Ich hatte gute Spieler in meiner Mannschaft, aber keiner von ihnen besaß diese Eigenschaften.“ Der Begriff „Pariser Umfeld“ ist allgegenwärtig. Der ehemalige Spieler und heutige Sportdirektor von PSG, Alain Roche, zählt auf: „Allgegenwart der Medien, äußerst anspruchsvolles Publikum, permanente Anfragen von Medien und Werbung, Verlockungen des Pariser Lebens.“ Den letzten Punkt darf man getrost besonders hervorheben. Zahlreiche Pariser Spieler haben ihre mentale und körperliche Gesundheit in den Nachtlokalen der Hauptstadt gelassen. Ronaldinho ging mindestens dreimal pro Woche aus, bei JayJay Okocha war es nicht seltener, aber beide kompensierten ihre Eskapaden durch überragendes Talent. Andere Pariser Spieler schaffen das nicht und verlieren jeden Halt. „Es gibt Kontakte zu den Nachtclubs. Wir versuchen, auf dem Laufenden zu bleiben, was unsere Spieler betrifft, aber viel lässt sich nicht tun“, verrät ein Mitglied des klubeigenen Betreuungsteams.

4. Die Vergangenheit – eine Last

In jeder Saison die gleiche Versuchung: einstigen Stars des Klubs die Verantwortung zu übertragen; den Geist der 90er-Jahre wiederzubeleben. 1993 und 1995 französischer Pokalsieger. 1995 französischer Meister. 1996 der Europapokal der Pokalsieger. Heute geht es dem Verein schlecht. Hoffnung schöpft er allein aus seiner ruhmreichen Vergangenheit. Ehemalige Stars führen das Zepter. Paul Le Guen ist diesen Winter als Coach zum Klub zurückgekehrt. Alain Roche besetzt den Posten des Sportdirektors. Vincent Guérin trainiert die Reservemannschaft und spielt eine gewichtige Rolle in der Leitung des Klubs. Ihre Rückkehr zu PSG konnte die Fans ein wenig beruhigen. Ein Leiter der Fangruppe Hoolicool erklärt: „Seit zehn Jahren ist nichts Positives mehr aus dem Klub gekommen. Es ist Zeit, dass die Alten zurückkehren. Das ist die einzige Lösung.“ Aber die Rückkehr der alten Garde hat bisher nichts geändert. Im Gegenteil: Die Erinnerung an die Vergangenheit scheint wie ein Mühlstein auf dem Pariser Verein zu lasten.

Andere haben keine Hemmungen, Öl ins Feuer zu gießen. Michel Denisot, Präsident des PSG während der großen Zeit, moderiert heute eine TV-Sendung auf Canal+, „Le Grand Journal“. Er lehnt es ab, sich ausführlich über seinen ehemaligen Klub auszulassen, kann sich aber gelegentliche Sticheleien nicht verkneifen. So rutschte ihm kürzlich, als er Paul Le Guen im Studio empfing, heraus: „Früher war’s besser, oder?“

Lesen Sie morgen Teil 2 des Reports über Paris Saint-Germain
Die Todsünden Nummer fünf bis sieben

Parc des Princes
Pariser Stadtautobahn: Wer den Boulevard périphérique in Richtung Westen umrundet, sieht auch den Parc des Princes. Das Stadion der PSG hat 45.000 Plätze Foto Kai Müllenhoff

 


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