INTERVIEW
„Frauen im Iran sind nun selbstbewusster“
In „Offside“ verkleiden sich sechs weibliche Fußballfans als Männer, um ins Stadion zu kommen. Jafar Panahis Film gewann auf der Berlinale 2006 den silbernen Bären. RUND sprach mit Fußballfan Panahi („Mein Favorit ist Robinho“) in Teheran über die Reaktionen, die sein Film im Iran ausgelöst hat. Interview: Camilla von Buddenbrock

 

Jafar PanahiJafar Panahi im Film "Taxi"

 

RUND: Herr Panahi, warum wollen iranische Frauen trotz Verbots ins Fußballstadion gehen?
Jafar Panahi: Ich glaube, dass der Reiz des Verbotenen die Frauen ins Stadion treibt. Es scheint in der Natur des Menschen verankert, das Verbotene auszutesten. In der iranischen Gesellschaft werden auch andere Dinge, trotz Verbot, getan und manchmal weiß keiner so genau wo die Grenze des Gesetzes entlang führt.

RUND: Wird „Offside“ in den iranischen Kinos laufen?
Jafar Panahi: Noch gibt es keine Erlaubnis, doch wir kämpfen darum, den Film vor der Weltmeisterschaft im Iran zeigen zu können. Dennoch konnten sich einige Menschen im Iran den Film ansehen, da er auf dem Filmfestival in Teheran Ende Januar 2006 gelaufen ist.

RUND: Wie hat das iranische Publikum auf den Film reagiert?
Jafar Panahi: Bei allen fünf Vorstellungen hat das Publikum hat den Film mit sehr großer Begeisterung aufgenommen. Der Film thematisiert einen Grenzbereich des iranischen Alltags, der sich zwischen Freiheit und Gesetz abspielt. Dabei kommt es häufig zu sehr humorvollen Szenen. Das erkennen die Menschen im Film wieder und fühlen sich angesprochen, was sich in großer Freude beim Publikum gezeigt hat.

RUND: Im Film ist der Umgang zwischen den Mädchen und den jungen Soldaten sehr offen. Entspricht das der Realität?
Jafar Panahi: Seit der Revolution unter Khomeini 1979 sind die Mädchen und Frauen im Iran immer selbstbewusster geworden. Die meisten Frauen wollen ein eigenständiges und unabhängiges Leben führen und verdienen sich ihren eigenen Lebensunterhalt. Inzwischen ist die Hälfte der Studierenden Frauen. Dieses Selbstbewusstsein zeigt sich auch auf der Straße im Verhalten der Jugendlichen untereinander, doch wenn das Verhalten der Jugendlichen zu locker wird, schreitet die Polizei schon einmal ein.

RUND: Am Ende des Films zeigen Sie eine Party auf den Straßen von Teheran, wie sie die Brasilianer nicht besser feiern würden. Sind das dokumentarische Aufnahmen nach dem Sieg des Iran gegen Bahrain, der im Juni vergangenen Jahres die Qualifikation zur WM bedeutete?
Jafar Panahi: Die Szenen sind dokumentarisch, wie der übrige Film auch. Doch wegen eines Drehverbotes für die letzten Szenen, mussten wir mit versteckter Kamera drehen, was die Dreharbeiten erschwerte.

RUND: Wie entstand die Idee zu Ihrem Film?
Jafar Panahi: Zwei Ereignisse haben mich inspiriert. Im alten Griechenland durften Frauen, wie bei uns in Iran, nicht an den Sportveranstaltungen teilnehmen. 400 v. Chr. endlich hat eine Frau dieses Verbot durchbrochen, indem sie sich als Mann verkleidet unbemerkt in das Olympiastadion einschlich. Das andere Ereignis ist aktueller. Als ich versuchte meine Tochter in ein Fußballstadion mitzunehmen, verschwand sie, da keine Chance auf ein Vorbeikommen an den Wachsoldaten bestand. Sehr verwundert war ich dann, als sie im Verlauf des Spiels an meiner Seite auftauchte. Einige Journalisten erkannten mich und schrieben über dieses Ereignis und lichteten mein Bild in der Zeitung ab. Dass mein Film auch später nicht ohne Folge blieb, zeigte sich nach meiner Rückkehr von der Berlinale vor einem Monat. Zu einem Fußballspiel versammelte sich eine Gruppe Frauen vor dem Stadion mit Plakaten in den Händen, die besagten, dass sie nicht im Abseits – „Offside“ – stehen wollen.

RUND: Was für einen Einfluss hat die iranische Regierung auf Ihre Kunst und die Kunst allgemein?
Jafar Panahi: Künstler haben im Iran immer ihren Ausdruck gefunden und an die Öffentlichkeit gebracht, trotz der Zensur. Auch die Erfolge in der Filmindustrie sind auf den Einsatz der Filmemacher zurück zu führen, die von staatlicher Seite keine Unterstützung erhalten. Doch in dem letzten Jahr hat sich die Zensur in Iran wieder verschärft. Mit dem Film „Offside“ hatte ich nicht so viele Probleme, wie mit meinen anderen Filmen, die weder im Ausland noch in Iran gezeigt werden durften. Dennoch habe ich Möglichkeiten gefunden, meine Filme im Ausland zu zeigen, wie zum Beispiel auf der Biennale in Venedig und der Berlinale.


Der Text ist in RUND #10_05_2006 erschienen.

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