SPEZIALTRAINER
Leistung aus dem Labor
Die Trainerstäbe der Liga werden immer größer. Müssen die Vereine wirklich mit Spezialisten arbeiten? Und was steckt wirklich hinter Mentaltrainern, Laktattests, Herzfrequenzmessern und individuellen Trainingsplänen? RUND hat sich umgehört an den Außenlinien der Liga. Von Sven Bremer und Eberhard Spohd


Thomas Doll
Thomas Doll hat gut lachen: Sein
Athletiktrainer Markus Günther machte die HSV-Profis fit Foto Mareike Foecking


 

Cheftrainer Thomas Doll ist weithin zu hören, wenn er beim Spielchen auf verkürztem Feld lautstark seine Anweisungen ruft. Im Hintergrund steht ein weiterer Coach des Hamburger SV. Der Mann mit den kurzen roten Haaren schaut unablässig auf seine übergroße Armbanduhr. Die Profis des HSV schuften bei der täglichen Arbeit. Immer wieder sprinten und hetzen einige Spieler an dem Mann mit der Uhr vorbei. Markus Günther ist der Athletiktrainer der Norddeutschen. Er ist unter anderem für die Rekonvaleszenten zuständig. Er ist der Mann für die Sonderprogramme in puncto Ausdauer, Schnellkraft oder Beweglichkeit. Doll ist der Chef, Günther der Fachmann. Gerade ist er damit beschäftigt, Neuzugang Juan Pablo Sorin möglichst schnell wieder fit zu bekommen.

Der Herzfrequenzmesser überträgt Sorins Puls auf Günthers Messgerät am Handgelenk, der damit kontinuierlich den Trainingsfortschritt des Argentiniers überprüfen kann. „Wenn man mit 20 Mann arbeitet, ist es für den Trainer unmöglich, aus jedem das Maximum herauszuholen. Dafür hat der gar keine Zeit. Dafür sind die Cotrainer da“, sagt Günther. Ohne Spezialisierung im Trainerstab gehe es nicht mehr im Profigeschäft, fügt er hinzu. Und ohne wissenschaftliche Methodik und Didaktik auch nicht.

Experten wie Jürgen Buschmann, Sportpädagoge von der Sporthochschule Köln, der mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) zusammenarbeitet, kommen immer größere Bedeutung zu. „Dennoch gibt es nur einige Vereine, die ansatzweise etwas tun, leider noch zu wenige“, behauptet er. Beim DFB haben inzwischen modernste wissenschaftliche Methoden Einzug gehalten, doch einige Bundesligaclubs lehnen den „neumodischen Kram“ weiterhin ab. Schließlich habe man so etwas noch nie gebraucht. Jürgen Klopp vom FSV Mainz glaubt: „Es hat lange gedauert, bis der Torwarttrainer in Deutschland akzeptiert war, es wird auch beim Fitnesstrainer dauern.“ Er hält die Installation eines solchen Spezialisten nicht für zwingend notwendig, wohl aber dass sich der Trainerstab mit modernsten Methoden auskennt.

Die ungewöhnlichen Maßnahmen bei der Nationalmannschaft wurden eher belächelt, denn ein Fußballer, so die Traditionalisten, macht doch keine Gymnastik. Die Spieler gingen lieber in die Kraftraum, um nach Verletzungen die Muskulatur wieder aufzubauen. Wenn sie erklären sollen, was genau sie dort trieben, konnten es die wenigsten erklären. Sie hätten halt „ein bisschen gedrückt“. „Es ist für mich unverständlich, dass in so einem Unternehmen die Spieler alle ihre eigenen Wege gehen“, findet Günther, räumt aber ein: „Man muss den Jungs schon vermitteln können, warum sie den ganzen Scheiß eigentlich machen.“

Auch für Buschmann sind unkoordinierte Alleingänge kontraproduktiv: „Es gibt kaum Anleitung, doch gerade nach Verletzungen muss man die Muskeln systematisch wieder aufbauen.“ Wolfgang Rolff, Cotrainer bei Werder Bremen, bestätigt: „Wir arbeiten inzwischen mit einer speziellen Kraftdiagnostik. Dabei wird der Körper durchgemessen, um jedem Spieler ein individuelles Programm erstellen zu können.“ Über diese Methode werde ermittelt, in welchem Bereich der Muskulatur der Spieler Defizite hat.

Gleichzeitig, so Rolff, müsse man aufpassen, „dass man nicht jeden Mist mitmacht“. Spätestens seit Klinsmann & Co. hält der Markt immer mehr Spezialgerätschaften bereit. Bei Werder haben sie einen Sprinthügel installiert, obwohl doch der Osterdeich nur wenige Meter entfernt ist. Derzeit prüft der Trainerstab, ob die Arbeit mit Reaktionstests die Profis weiterbringt. „Damit werden auf dem Rechner die Reaktionszeiten der Spieler festgehalten. Es geht darum, die Spielfähigkeit zu verbessern. Es gibt viele Spieler, die zwar schnell sind, aber die brauchen drei oder vier Kontakte und wissen nicht, was sie mit dem Ball machen sollen. Das kann über solche Tests gezielt verbessert werden“, erklärt Rolff.

Den Laktattest haben inzwischen fast alle Bundesligavereine eingeführt. „Wir machen inzwischen pro Saison sechs bis acht Tests“, so Rolff. „Auch wenn wir ein gutes Auge für den Zustand der Spieler haben, ist es wichtig, ihn anhand von Daten zu kontrollieren und entsprechend die Belastung für jeden einzelnen Spieler zu gestalten.“ Jürgen Klopp hingegen sagt: „Der Laktattest ist ja nicht nur ein Test, sondern auch eine intensive Belastung. Wenn man den zu oft wiederholt, muss man fußballspezifische Trainingsformen weglassen. Das würde ich nicht tun.“ Außerdem will er den Test nicht überbewerten: „So einen schlechten Wert habe ich noch nie gesehen, dass ich sagen musste, der ist scheiße, du gehst jetzt erst mal ein paar Stunden in den Wald laufen.“ Beim FC Bayern wird sogar ganz auf die Laktattests verzichtet: „Mit Felix Magath haben wir nichts mehr gemacht in der Beziehung. Trotzdem sind die Mannschaften immer sehr fit gewesen. Das geht über persönliche Erfahrung“, glaubt Eichkorn. Was Markus Günther bestreitet: „Ich kann von außen nicht sehen, wie fit ein Spieler ist.“

Bei jeder innovativen Methode gibt es widerstreitende Meinungen. Doch in einem sind sich alle einig: Man muss die Profis zunehmend individuell trainieren. Früher, so Rolff, sei die ganze Horde im gleichen Tempo zum Waldlauf gestartet: „Da hieß es: Nun bleib mal schön dran.“ Bis eine Menge Profis im roten Bereich gelandet sind. „Das ist nur für zehn oder 20 Prozent der Spieler sinnvoll. Die Sprinter zerstören mit solchen Methoden ihre Ausdauer, weil sie übersäuern, Dauerläufer halten in dem Joggingtempo nicht einmal ihre Ausdauer“, erklärt Buschmann.

Doch Fußball setzt sich aus vielen Komponenten zusammen, und Günther ist klar: „Wenn wir nur noch Krafttraining machen und laufen und die Jungs kriegen eine Klatsche nach der anderen, hilft uns das auch nicht weiter. Durch einen guten Laktatwert bin ich noch lange kein guter Fußballer, aber wenn ich ein hohes Ausdauerniveau habe, kann ich damit das fußballerische Können auch konsequent abrufen.“ Aus Individuen muss also eine Mannschaft gestaltet werden. Auch dafür sind für Buschmann wissenschaftliche Methoden unabdingbar, schließlich gehe es um den Vergleich auf höchstem Niveau: „Je enger die Leistungsdichte wird, desto wichtiger ist das letzte Prozent. Dabei ist es egal, ob das im Bereich der Balltechnik, der Koordination, der Taktik, in der Leistungsdiagnostik und -steuerung oder sonst wo ist. Überall muss ich das Äußerste herauskitzeln.“

Die Klubs stehen, wenn sie auf modernste wissenschaftliche Methoden nicht verzichten wollen, vor gravierenden Veränderungen. „Man müsste den Trainerstab erweitern und in der medizinischen Abteilung jemanden haben, der sich rund um die Uhr um die Spieler kümmert. Da stellt sich schon die Frage, ob man die Kapazitäten dafür hat“, so Wolfgang Rolff. Man könne den Etat schließlich nicht überstrapazieren, denn das gehe beispielsweise zu Lasten der Nachwuchsförderung, „und dann wäre das Geschrei groß.“

Unstrittig ist jedoch, dass gerade im Nachwuchsbereich Erkenntnisse der Wissenschaft weiterhelfen. Nicht nur im Bereich der Diagnostik und Trainingsmethodik, sondern auch im pädagogisch-psychologischen Bereich liege einiges im Argen, erklärt Buschmann. Die Selbstverantwortung über den eigenen Körper und die mentale Einstellung müssen früh trainiert werden. Ergo helfen nicht nur Fitnessgurus, sondern auch Experten aus der Psychologie den Klubs weiter. Werder beschäftigt einen Mentaltrainer als Honorarkraft und nimmt ab und zu die Kenntnisse eines Bioenergetikers in Anspruch. So können Kosten gespart und Wissenschaftler dennoch am Prozess beteiligt werden. „Die Eigenmotivation der Spieler anzustacheln ist brutal schwer“, berichtet Günther. „Erfahrene Profis wissen zumeist, dass sie für ihren Körper mehr machen müssen. Die merken, dass sie dem Alter Tribut zollen, und dass es mit den neuen Trainingsmethoden möglich ist, zwei, drei Jahre länger zu spielen und entsprechend länger Geld zu verdienen.“ Den Spielern dabei die nötige Unterstützung zukommen zu lassen, sei eine der Aufgaben eines modernen Bundesligaklubs.

Dafür setzt der HSV auch eine Menge Technik ein: „Die Jungs arbeiten bei uns im Kraftraum mit einem Schlüssel, auf dem die Daten gespeichert werden, die ich dann wiederum auf dem Laptop abrufen kann.“ Damit kann maer nicht nur die Trainingsintensität steuern, sondern „daran kann ich auch sehen, ob sie ihre Übungen gemacht oder nur geredet haben“, sagt Günther. Es sei traurig, aber wahr, dass eine gewisse Kontrolle sein müsse, nennt der Coach ein Beispiel. „Ein Spieler soll in seiner freien Zeit fünfmal 40 Minuten in seinem Pulsbereich laufen. Der bringt dann die Pulsuhr zurück und hat darin keine einzige Laufeinheit gespeichert. Dann hat er entweder nichts getan oder war – das ist die Standardausrede – zu dumm, die Uhr zu bedienen. Aber gibst du ihm ein neues Handy, kennt er nach zwei Minuten alle Funktionen.“

Mit der zunehmenden Spezialisierung verändern sich weniger die Hierarchien, sondern eher die Strukturen im Trainerstab. „Ein Trainer, der bereit ist, Aufgaben abzugeben, ist im Vorteil“, sagt Günther. Entscheidend sei die Kommunikation: „Ein gut funktionierendes Team steht in ständigem Austausch.“ Was Mainz’ Trainer Jürgen Klopp bestätigt: „Wir analysieren jedes Spiel im Team. Da geht es nicht darum, Recht zu haben, sondern darum, richtig zu entscheiden.“

Selbstverständlich bleibe der Cheftrainer der wichtigste Mann – gegenüber der Mannschaft und nach außen. „Er gibt die Richtung vor, er entscheidet und delegiert gegebenenfalls. Genau dafür hat er ja seine Leute“, so Seppo Eichkorn. Auch Buschmann glaubt nicht an die Demokratie im Fußball. „Die Aufstellung wird eine autoritäre Aufgabe des Cheftrainers bleiben, der dafür auch in der Verantwortung steht.“ Rolff sagt: „Entscheidend ist vor allem, ob der Chef Vertrauen in seine Cotrainer hat.“ Aber der moderne Cheftrainer sollte in seinen Augen schon ein Teamarbeiter sein. „Man muss stark sein, um starke Leute um sich herum platzieren zu können“, findet Klopp.

Thomas Doll ist überzeugter Teamworker und scheint stark zu bleiben, auch wenn die Mannschaft schwach spielt. Der Trainierstab des HSV sitzt jeden Tag zusammen und berät gemeinsam, welche Maßnahmen für den Erfolg wichtig sind. Der Chefcoach erfuhr vor dem Champions-League-Spiel gegen Arsenal, dass Sorins erster Einsatz noch nicht ratsam ist. Doll übte sich in Geduld, weil er weiß: Auf das Urteil seiner Experten kann er sich verlassen. Erst im Derby gegen Werder brachte er den Argentinier. Als Doll sich nach einer Stunde Spielzeit bei Sorin nach dessen Befindlichkeit erkundigte, hob der nur kurz den Daumen und signalisierte: „Ich bin topfit.“ Ob der Argentinier vielleicht im Arsenal-Spiel mit einer Einzelaktion die Entscheidung herbeigeführt hätte, steht auf einem anderen Blatt. Jürgen Klopp bringt es auf den Punkt: „Natürlich bringen die wissenschaftlichen Methoden etwas. Ob man das immer unmittelbar am Ergebnis ablesen kann, ist dabei, ehrlich gesagt, zweitrangig.“

 

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