ROMARIO
„Die Mission ist erfüllt“
Romário hat sein letztes großes Ziel erreicht. Mit 1002 Toren hat der exzentrische Weltmeister von 1994 seine Karriere beendet.

Romario
Ausruhen auf über 1000 Toren: Romario hat seine Karriere beendet

 


Ein paar Mal ist Romário auch schon mit dem Hubschrauber gekommen – zum Training. „Dann kann ich länger schlafen“, so seine lapidare Begründung. Heute hat sich der Weltmeister von 1994 anders entschieden. Im knallroten Ferrari F 430 fährt er vor. Lässig schwingt er sich aus dem rund 500.000 Euro teuren Gefährt, die überdimensionale Designer-Sonnenbrille ins leicht ergraute Haar geschoben. Mit tänzelnden Schritten geht er hinüber zum Trainingsplatz, auf dem die Kollegen vom brasilianischen Traditionsklub Vasco da Gama längst mit der Einheit begonnen haben.

Na und? Training, hat „Baixinho“, der „Kurze“, schon mal als Kalorienverschwendung bezeichnet. Mit offenen Mündern stehen die Profis da. Dabei sind sie doch einiges gewöhnt von dem inzwischen 42-jährigen Kollegen.

„Der hat einen Knall“, meint ein brasilianischer Reporter. Und ergänzt: „Aber er war ein Genie auf dem Platz.“ Dieser Romário de Souza Faria, den Experten als die gelungene Mischung aus Gerd Müller und Diego Maradona bezeichneten, machte ebenso unmögliche Tore wie „kleines dickes Müller“. Ähnlich wie bei Maradona umringt ihn stets ein Clan von Beratern und Leibwächtern. Und wie der Argentinier wurde auch Romário mit Drogenmissbrauch, Korruption und Steuerhinterziehung in Verbindung gebracht.

Den Ferrari kann sich Romário trotz seines luxuriösen und ausschweifenden Lebenswandels immer noch leisten. Die Unterhaltszahlungen für zwei Frauen und seine diversen Kinder hat er allerdings nicht immer pünktlich überwiesen, weshalb er 2000 schon einmal kurzfristig in den Knast musste.

Nur eines konnte er sich lange nicht kaufen: das geradezu manisch herbei gesehnte 1000. Tor seiner großen Karriere. Vor kurzem, im Spiel gegen den Lokalrivalen Flamengo, war es fast so weit: Das 1:0 aus kürzester Distanz war Treffer Nummer 999 – zumindest nach Romários höchstpersönlicher Rechnung. Doch dazu später.

Wenige Minuten danach löst sich Romário im Sechzehner von zwei Gegenspielern. Mit einer Art Übersteiger lässt er den Pass in die Spitze passieren. Nur wenige Meter ist er von seinem größten Traum entfernt. „Ich denke jede Sekunde an dieses Tor“, hatte er unlängst bekannt. „Es wäre eine wahre Heldentat und nur der WM-Titel für Brasilien wäre damit zu vergleichen.“ Halblinks am Fünfer steht der Mann mit der Nummer elf. Tausende Zuschauer im Stadion halten den Atem an – doch Flamengos Keeper Bruno ist noch dran. Knapp zischt der Ball unten links am Tor vorbei. Das „Goooooooool“ bleibt den vielen Radio- und Fernsehkommentatoren im Halse stecken.

Dem Fehlschuss folgt die ausgiebige Bekreuzigung. Gott hat es noch nicht gewollt, dass Romário endgültig die oberste Stufe des Fußball-Olymp erklimmt. „O Rei do Gol“, wie Romário auch genannt wird, der „König der Tore“, muss sich noch ein wenig gedulden.
Also sollte es im nächsten Match sein. Auch gut. Oder noch besser. Denn da tritt Vasco da Gama im Halbfinale der Regionalmeisterschaft von Rio de Janeiro auf den Gegner Botafogo. Und zwar im berühmten Maracan√£-Stadion. Genau dort, wo es nach dem Gusto des Torjägers fallen sollte, das magische 1000. Tor.

4:4 steht es nach 120 Minuten. Vier Tore für Vasco da Gama – aber keines von Romário, den sie auch „Pummelchen“ nennen, und der sowieso fast die ganze Zeit nur herumsteht. Und dennoch beinahe getroffen hätte. Doch den Torschuss von Mitspieler Jorge Luiz erwischte er erst hinter der Torlinie.

Zum Elfmeterschießen kann der einstige Weltfußballer nicht mehr antreten. Krämpfe durchzucken die kurzen, muskulösen Oberschenkel. Wie ein alter, kranker Mann muss er von Sanitätern vom Platz geführt werden. Der einzige Trost für Romário: Elfmetertore hätten eh keinen Eingang in die offizielle Statistik gefunden.

Doch Romários egomanischer Trip ist im Klub und in ganz Brasilien umstritten. Während ihm der Vereinspräsident und Kumpel Eurico Miranda den Rücken stärkt, meuterten Trainer und einige Mitspieler. Coach Renato Gaucho wurde daraufhin vorsorglich gefeuert. Und nun schoss Romário den lang ersehnten Treffer. Beim 3:1 von Vasco gegen Sport Recife lief er in der 48. Minute an, verlud den Torwart und traf vom Elfmeterpunkt. Er schoss den Ball vorsorglich noch ein zweites Mal hinein. Sicher ist sicher. Aber ob dieses Tor überhaupt der 1000. Treffer war – es ist so fragwürdig wie der Ruf des einstigen Favela-Jungen. Das brasilianische Fußballfachblatt „Placar“ will unlängst herausbekommen haben, dass Romário angeblich weit von der 1000er Marke entfernt ist. Lediglich 737 Tore gestehen ihm die Erbsenzähler von „Placar“ zu. Das wären immerhin 17 mehr als bei Pelé. Denn auch der beste Fußballer aller Zeiten soll statt der gemeinhin gültigen Rekordmarke von 1282 Toren lediglich 720 „Buden“ in offiziellen Spielen erzielt haben.

Romário ist das völlig egal. Offiziell und richtig ist nur das, was er zählt. Und das sind nun genau 1000? Und das ganze Land – so schien es – feierte mit ihm, als das Spiel gegen Sport Recife nach seinem legendären Treffer für 17 Minuten unterbrochen wurde, damit der Ergraute sich auf einer Ehrenrunde ausführlich feiern lassen konnte.

Die Gegenspieler und auch seine Mitspieler – allesamt zu Statisten degradiert – müssen sich komisch vorgekommen sein. 17 Minuten drehte sich die Welt einzig um den 41-Jährigen. Seine Worte nach dem Spiel müssen für alle wie eine Drohung geklungen haben: Die „Mission“ sei erfüllt, sagte Romario. Und nun ist also endgültig Schluss.
Sven Bremer

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