TEIL 3
„Mit Geldern aus der fernen Zukunft die Gegenwart bewältigen“
In der Liga haben sich einige Klubs über Jahre an große Vermarkter wie Sportfive und IMG gebunden. Unternehmensberater Thomas Kupfer kritisiert, dass es zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen kommen könnte. Klubs wie die Bayern, Hoffenheim oder selbst Cottbus würden ihre Möglichkeiten besser ausschöpfen. Interview Matthias Greulich

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Foto Hoch Zwei


RUND: Herr Kupfer, Sie hatten im RUND-Interview im November 2006 den Einfluss von Fremdfirmen wie Sportfive kritisiert. Geht deren Einfluss in der Bundesliga nicht gerade zurück?
Thomas Kupfer: Nein. In einigen Vereinen werden nun scheinbar die Lehren gezogen, aber noch längst nicht bei allen. Wolfsburg hat die Kooperation mit IMG gestoppt, dagegen hat Bayer Leverkusen, bislang ein heftiger Kritiker dieser Totalvermarktungsmodelle, einen Vertrag mit Sportfive abgeschlossen, wobei in den Medien von 100-Millionen-Euro gesprochen wird. Das mag vielleicht damit zusammenhängen, dass die Bayer AG nicht wie gewohnt die Modernisierung der BayArena allein stemmt. Dortmund hat entgegen vorheriger Ankündigungen seinen Vertrag für 50 Millionen Euro. Darlehen verlängert. Angesichts der Bankenkrise wirkt Sportfive mit erneuter Hyperaktivität um noch größeren Einfluss bei noch mehr Fußballklubs. Die Pfründe, auf die es die in ausländischem Besitz befindlichen Multi-Totalvermarkter abgesehen haben, sind weiter im Wachsen: Neue Stadien, mehr TV-Berichte, mehr Sponsoren, mehr Logen, bessere Hospitality-Angebote, mehr Speisen, Getränke usw. Jahr für Jahr steigen die Umsätze der meisten Bundesligisten. Beträchtliche Gelder fließen durch solche nachteiligen Vermarkter-Geschäftsmodelle aus dem deutschen Klubfußball heraus. Kalkulationen erreichen bereits mittlere dreistellige Millionensummen. Die vertraglich gebundenen deutschen Erst- und Zweitligisten finanzieren letztendlich auch die Gehälter der Belegschaft, die Infrastruktur, die Zinsen und die Gewinne der ausländischen Eigentümer solcher Multi-Totalvermarkter.

RUND: Sie halten den Einfluss von Unternehmen, die einen Klub komplett vermarkten, also immer noch für problematisch?
Thomas Kupfer: Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Kooperationen mit einer Vermarktungsfirma, die in der Liga nur bei diesem Klub engagiert ist oder eine Kooperation mit einem Vermarkter in einem Projekt bzw. ein Engagement für eine spezifische Aufgabe stellen weder die Unabhängigkeit des FC noch die Wettbewerbsintegrität in der Liga in Frage. Solche Kooperationen sind normal und können weiterhelfen. Etwas völlig anderes und kritikwürdig ist es, wenn ein Großvermarkter mehrere Klubs derselben Liga bzw. in demselben Wettbewerb unter Vertrag hat, dort Totalvermarkter ist oder die Kerngeschäftsgebiete des Klubs führt.

RUND: Wo liegen Unterschiede?
Thomas Kupfer: Es ist z.B. ein gravierender Unterschied, ob ein Klub in einer Saison durch vertragliche Bindungen an einen Totalvermarkter 18, 23 oder gar 27 Prozent an Provision an diesen bezahlen muss. Entwicklungen werden so bei dem einen FC gebremst, beim anderen gefördert. Der Totalvermarkter bestimmt und führt die Wirtschaftstätigkeit, die Planung, mitunter auch das Rechnungswesen, „seiner“ FC. Er kassiert selbst für die Verlängerung von Sponsorenverträgen mit Firmen, die schon Jahre vor seinem Einstieg mit diesem Verein zusammengearbeitet haben. Bei manchen kassiert er Anteile an TV-Erträgen. Diese und andere Differenzierungen schaffen bzw. verstärken Ungleichgewichte in der Wettbewerbsfähigkeit der Klubs, die von einem Totalvermarkter beherrscht werden. Sie führen faktisch zu einer „Stallregie“ des Vermarkters und das ist eine ernste Bedrohung für die Integrität des Ligawettbewerbs in Deutschland.

RUND: Welchen Ausweg sehen Sie?
Thomas Kupfer: Konsequenterweise müsste eine Regel formuliert und durchgesetzt werden, die solche Mehrfachengagements von Totalvermarktern in derselben Liga bzw. im gleichen Wettbewerb vollständig unterbindet oder nur auf ein Klub-Engagement je Liga bzw. Wettbewerb beschränkt. Hier kann ich nur an die Uefa, den DFB und den Ligaverband appellieren, sich dieser Sache dringend anzunehmen, bevor die Vernetzungen weiter eskalieren und die Abhängigkeiten voll auf die Wettbewerbe durchschlagen. Bisher sind von Uefa , englischem Verband und DFB/ Ligaverband durch Übernahme der Uefa-Bestimmung lediglich das multiple anteilige Eigentum an Fußballklubs verboten.

RUND: Dann müssten viele Klubs ihren Vermarkter wechseln. Das ist doch nicht realistisch.
Thomas Kupfer: In Deutschland, wo die multiple Totalvermarktung der Kerngeschäfte von Fußballklubs besonders gravierend ist, werden, wenn überhaupt, zunächst nur Zwischenschritte in diese Richtung umsetzbar sein. Die verbotene Personenidentität von Entscheidungsträgern genügt jedoch in keiner Weise, wie die Praxis zeigt, den Gefahren zu begegnen. Warum gibt es nicht zumindest verbindliche Vorgaben im Lizenzierungsverfahren, so dass alle Fußballklubs, die mit mehrfach engagierten Vermarktern arbeiten, gleiche Konditionen erhalten? Damit könnte zumindest „Waffengleichheit“ im jeweiligen „Firmen-Stall“ sowie zwischen den „Firmen-Ställen“ erreicht und – bis zum Inkrafttreten der o. g. notwendigen Regel – wenigstens teilweise der Bedrohung der Wettbewerbsintegrität entgegengewirkt werden. Gefragt werden muss heute leider schon: Warum macht die DFL das Spiel der Großvermarkter mit? Warum ist diese Problematik nicht wenigstens Gegenstand einer tieferen Prüfung und kritischen Bestandsaufnahme? Vielleicht, weil dann ein Multi-Vermarkter klagen könnte? Oder weil es auf ein reales Problem aufmerksam machen würde und nicht zur permanent praktizierten Erfolgsdarstellung passt? Oder weil das Problem unterschätzt wird? Auch in dieser Frage zeigt sich ein besonderes Merkmal des Sondermarktes, das besser zu verstehen ist, wenn eine Aushöhlung des Fußballs verhindert werden soll.


RUND: Haben Sie eine Erklärung, warum das Problem bislang noch nicht ausreichend erkannt wird?
Thomas Kupfer: Seitens der Großvermarkter und ihrer Repräsentanten in den Klubs wird der transparenten Bestandsaufnahme und Regelung mit allen Mitteln entgegengewirkt. Die zentrale Gewichtung der Anbindung von Klubs an multipel engagierte Großvermarkter wird heruntergespielt und sogar verschleiert. Eine Fachzeitschrift des Sport-Sponsoring veröffentlichte im Juli 2008 eine Übersicht zum Vermarkterengagement in den Bundesligen, die unvollständig ist. In einer „Milchmädchen-Modellrechnung“ wird verzerrend behauptet, die Provisionszahlung sei der einzige Nachteil für die Vereine. Es gibt zahlreiche weitere, so z.B. Verlust von clubeigenem Fach-Know-how, verminderte Effizienz der Führungsarbeit, Parallelstrukturen, entstehende Abhängigkeiten bis hin zu Auswirkungen auf die sportliche Arbeit, die Personalarbeit, usw. Der Interessenverband der Sportvermarkter steht unter der Ägide der großen Multi-Vermarkter. Die DFL bietet diesen Multi-Vermarktern öffentliche Plattformen und vermeidet ein kritisches Befassen mit dieser Thematik. Der Einfluss der Multi-Totalvermarkter ist weiter gestiegen. Ergänzend zur Strategie der verschleiernden Umarmung werden kritische Fachleute und Fans in Deutschland zunehmend ausgegrenzt. So verbot ein Vorstand eines Bundesligisten seinen Mitarbeitern bereits den Kontakt mit Kritikern der Totalvermarktung.

RUND: Sehen Sie also keine positiven Entwicklungen in dieser Frage?

Thomas Kupfer: Doch, es gibt einige: Zahlreiche Vorstände und Manager schätzen ein, dass der Verein als Unternehmen mehr davon hat, wenn er mit seinen Wirtschaftspartnern direkt zusammenarbeitet. Hoffentlich können sich diese Positionen weiter durchsetzen. Das hilft den Vereinen und dem deutschen Fußball. Zudem sollte endlich klarer herausgestellt werden: Auch in Deutschland entwickeln sich seit vielen Jahren vor allem jene Klubs am besten, die von Totalvermarktern weitgehend unabhängig sind und ihre wirtschaftlichen Hauptgeschäftsfelder selbst führen z.B. Bayern, Schalke, Werder, Stuttgart, Cottbus, Hoffenheim. Die unternehmerische Souveränität der Clubs bringt eine ganze Reihe von Vorteilen. Erst durch wirtschaftliche Selbständigkeit und bei Bedarf ergänzt durch direkte Partnerschaften auf spezifischen Gebieten kann ein Fußballklub sein Wachstumspotential zum vollen eigenen Nutzen erschließen. Die Eigensteuerung erlaubt größere Effizienz. Das Know-how entfaltet sich mit der Zeit „in house“, kann vom Vorstand auf allen Gebieten entwickelt und gebündelt werden. Entwicklungspotentiale für Kreativität zum Nutzen des FC in seinem Einzugsgebiet sind größer. Die Manager und Mitarbeiter sind nicht vorrangig Koordinatoren der Aktivitäten anderer Firmen bzw. ausführende Helfer für deren Entsandte. Eine bessere Harmonisierung von sportlicher und wirtschaftlicher Arbeit wird möglich. Controlling dient den Zielen des Klubs, nicht den Vermarktern. Auch Partnerschaften mit Sponsoren und anderen können auf ein höheres Niveau entwickelt werden. Manch Sponsoringpartner kann doch potentiell ein künftiger Miteigentümer des Klubs werden.

RUND: So wie bei der FC Bayern München AG, an der die Adidas-Salomon AG zu zehn Prozent beteiligt ist.
Thomas Kupfer: Ein gutes Beispiel. Die Erschließung von Wachstumspotenzialen gelingt viel besser, wenn man direkt mit den Partnern zusammenarbeitet, wenn sich der Club als Unternehmen begreift und die Gesamtpalette seiner Kerngeschäfte selbst in der Hand hat und steuert. Die schwache Ausprägung der Clubs als Unternehmen führt dazu, dass oft in Krisen oder bei akutem Finanzbedarf mehrfach engagierte Drittfirmen ins Boot geholt werden. Mit dem Vorschuss werden kurzfristig Wirkungen erzielt. Die längerfristig wirkenden Nachteile geraten außer Sicht. Wer über Jahre die Wirtschaftstätigkeit führt, stellt die entscheidenden Weichen, bestimmt schließlich auch das Führungspersonal, offen oder hinter den Kulissen, und dirigiert den Handlungsraum selbst bei Spielerverträgen sowie zur Teamentwicklung. Beispiele dessen sind bei den Multi-Vermarktern in der Bundesliga erkennbar.

RUND: Wie lange können diese Verbindungen dauern?
Thomas Kupfer: Hertha BSC ist bis 2018 gebunden. Man arbeitet mit Geldern aus der fernen Zukunft, um die Gegenwart zu bewältigen, hat aber seit Jahren die eigenen Ziele immer wieder verfehlt. Das ist – trotz vieler schöner Worte und Rechtfertigungen für mehrfaches Scheitern und nachfolgende scheinbare Strategie- und Richtungswechsel – eine „Nach uns die Sintflut“ Mentalität, die allein im Geschäftsinteresse des herrschenden Multi-Totalvermarkters liegt.


RUND: Glauben Sie, dass die Spitzenklubs nach der Entscheidung des Kartellamts aus der Zentralvermarktung ausscheren werden?
Thomas Kupfer: Ich hoffe, sie tun das nicht, und bin zuversichtlich, dass sie nicht ausscheren. Es wäre nachteilig für den deutschen Fußball und am Ende auch für diese Klubs. Das jetzige Modell hat sich bewährt. Es gewährleistet eine stabilere Gesamtentwicklung, selbst wenn es mitunter einen Ertragsverzicht mit sich bringt. Ich rate den Clubs und ihren Verantwortlichen, zusätzliche Ertragsquellen zu erschließen. und unterstütze sie dabei, ebenso bei Restrukturierungen und in anderen Fragen ihrer Entwicklung. Das sind mitunter zwar keine Dinge mit kurzfristigem Effekt, aber gerade die Spitzenclubs verfügen in Deutschland über gute Potentiale. Strukturell, personell und was die Führungsqualität betrifft, haben sich die Clubs weiterentwickelt. Das gilt sowohl für den sportlichen als auch den wirtschaftlichen Bereich. Es ist noch viel zu tun, doch darauf läßt sich aufbauen.

Sehen Sie auch: F.A. Thomas Kupfer: Erfolgreiches Fußballclub Management – Analysen_Beispiele_Lösungen, Verlag Die Werkstatt, 654 Seiten, 275 Grafiken (plus CD.)
Mehr auch zur 2. Auflage von Buch und CD auf: www.fc-management.com

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