FUSSBALL IN GALILÄA
Die Töchter des Fußballs
Banat Sachnin spielt als arabischer Verein in der israelischen Frauenliga. Das Team aus Galiläa ärgert die großen Klubs. Das Wichtigste: Sie spielen Fußball – gegen alle Widerstände. Von Roger Repplinger (Text) und Dirk Krüll (Fotos).


Banat SachninMädchenfußball in Sachnin Foto Dirk Krüll



In Arraba, gleich beim Märtyrer-Denkmal, stehen Jungs am Zaun und kauen Kaugummi. Sie sind im Kino, obwohl da gar keine Leinwand ist. Sie schauen auch nicht hoch, sondern runter. Unten läuft der Film: Frauenfußball. Nackte Beine sieht man hier, in der arabischen Zone im Norden Israels, nicht alle Tage. Dort wohnen fast nur Muslime, und der Imam ist ein wichtiger Mann. Aber so wichtig dann auch wieder nicht. In Sachnin gab es Fußball für Männer, für männliche Jugendliche, für Buben. Nur Frauen und Mädchen spielten nicht. Dann kam Hamid Ganayem.

Er hat vor 35 Jahren Sport studiert, als dies für einen jungen Araber ein exotisches Fach war. Die Eltern fanden, dass er mit seinen guten Noten etwas Sinnvolleres hätte studieren sollte. Aber dann hat sich sein älterer Bruder hinter ihn gestellt, „und so habe ich es gemacht“, sagt Ganayem, der bei der Stadtverwaltung von Sachnin für Sport zuständig ist, und dem Frauen- und Jugendfußball, aber auch Laufen, Rhythmische Sportgymnastik und Schwimmen am Herzen liegen. Im Jahr 1972 war er der erste Sportlehrer zwischen Nazareth und dem Libanon. Ein Pionier. „Damals hieß es: Hamid, du zerstörst die Jungen und Mädchen mit deinem Sport. Heute loben sie mich – also habe ich was erreicht“, sagt Ganayem.

Es ist so gegen 13.30 Uhr. Gerade ist in Sachnin der Schulunterricht zu Ende gegangen. Morgen ist der erste Spieltag der israelischen Frauenliga. Die Sonne versucht verzweifelt, auf den Fußballplatz von Hapoel Arraba zu scheinen. Aber es kommen nur ein paar Strahlen an. Abschlusstraining von Banat Sachnin – der „Töchter Sachnins“, der Frauen- und Mädchenmannschaft von Sachnin und Umgebung. Eine ist heute zum ersten Mal dabei. Einige haben Talent.

Die Mädchen trainieren hier in Arraba, weil Sachnin kein Stadion hat. Ein Problem, das auch den männlichen Nachwuchs bremst. „Aber wir lassen uns nicht bremsen“, sagt Suzanne, 17 Jahre alt, „jedenfalls nicht lange.“ Sieben Mädchen sind heute nicht da. Eine hat Prüfungen in der Schule, vier sind bei der Juniorinnen-Nationalmannschaft Israels, zwei arbeiten um diese Zeit. Wenn es jemals eine arabische Spielerin in die Frauen-Nationalmannschaft Israels schafft, dann ist sie aus der Gegend von Sachnin. Wahrscheinlich steht sie gerade auf dem Platz.

In Israel gibt es zwei Ligen für Mädchen und Frauen: die Schulliga und die Frauenliga. Seit etwa sechs Jahren wird in Sachnin Frauenfußball gespielt. Es fing – auf Initiative von Hamid Ganayem – in den siebten und achten Klassen der Schulen an. „Wir wollten den Kreis des Fußball schließen, und was noch fehlte war der Frauenfußball“, sagt der 52-jährige Ganayem. Als die Mädchen, die in der Schule mit Fußball begonnen hatten, älter wurden, stellte sich die Frage, was nun geschehen solle. Sachnin schickte ein Team in die Frauenliga, in der 19 Mannschaften spielen, geteilt in eine Nord- und eine Südgruppe. Sachnin spielt in der Nordgruppe und ist das einzige arabische Team der gesamten Ersten Liga.

Madeleine kickt in langen Hosen und mit Kopftuch. Sie ist 17 Jahre alt, keck und selbstbewusst. Sie spielt seit vier Jahren Fußball. Ihr Vater hat selbst gegen den Ball getreten. Als seine Tochter den Wunsch hatte, Fußball zu spielen, war der Vater begeistert. „Er hat mich motiviert“, sagt sie. Sie trägt auch bei Meisterschaftsspielen lange Hose und Kopftuch, selbst wenn es glühend heiß ist. Das Kopftuch in den Farben ihrer Mannschaft und über der langen eine kurze Hose wie die anderen. Damit es nicht zu Verwechslungen kommt. „Kein Problem“, sagt Madeleine. „Kein Problem“, finden alle. „Wir schauen nach Lösungen, nicht nach Problemen“, sagt Hamid Ganayem.

Die Eltern, auch die gläubigen Muslime, legen ihren Töchtern keine Steine in den Weg. Der Fußball hat sich durchgesetzt. Trotzdem würde sich Hamid Ganayem mehr Unterstützung von den Eltern wünschen. Es hilft den Mädchen, wenn die Eltern bei den Spielen zuschauen. Das stärkt ihnen den Rücken, kommt aber selten vor.

Suzanne spielt seit sechs Jahren. Sie stand schon immer auf Fußball. Als sie gehört hat, dass es in Sachnin eine Frauenmannschaft gibt, hat sie sich sofort angemeldet. „Wenn die Mütter Fußball gut finden, dann finden es auch die Töchter gut“, sagt Ganayem. Also muss er die Mütter begeistern. Das ist ihm gelungen. „Fußball ist gesund“, sagt Hamid Ganayem zu den Müttern, „Fußball macht Spaß.“ Ein gutes Hobby, das finden inzwischen immer mehr Eltern, bei denen er mit dem Argument wirbt: „Wenn man nicht weiß, was man mit seiner Freizeit tun soll: Fußball spielen.“

In der vergangenen Saison sprang ein sechster Platz in der Liga heraus. In der Schulliga war das Team aus Sachnin zweimal im Finale. Das hat den Rest der Mädchenmannschaften Israels gepiekt. Ganayems Mädchen vertreten Israel international: in diesem Jahr bei der Weltmeisterschaft der Schülerinnen in Dänemark. Es ist auffällig, meint Ganayem, dass die meisten Spielerinnen auch gut in der Schule sind. „Ihr Ehrgeiz“, nickt Hamid Ganayem, „erstreckt sich eben nicht nur auf Fußball.“

Ein Problem ist, dass die Spiele der Ersten Liga erst um 19 oder 20 Uhr beginnen. Von den Spielen gegen Teams aus Jerusalem kommt die Mannschaft um zwei Uhr morgens nach Galiläa zurück. Da fahren weder Bus noch Bahn. Wie kommen die Mädchen nach Hause? Die Eltern schlafen schon, die können die Mädchen nicht abholen. „Jede wird einzeln nach Hause gefahren“, sagt Ganayem. Das dauert.

Trainer Kamal Ganayem hat einen ruhigen Ton am Leib, lässt sich aber von den Mädels nicht auf der Nase herumtanzen. Wenn er spricht und die Mädchen tuscheln, reicht ein scharfer Blick und die Gespräche verstummen. Er lässt dribbeln, Kurzpässe spielen, mit dem Ball am Fuß um die Hütchen laufen. Irgendwann, und das soll nicht mehr allzu lange dauern, wird es eine Trainerin geben. Hamid Ganayem hat zwei Spielerinnen überredet, einen Trainerschein zu machen. So lange wird Kamal Ganayem von der Stadt bezahlt. Der Verein könnte sich den Trainer nicht leisten.

Auch der Bus zu den Spielen und die Trikots kosten die Mädchen nichts. Da springt die Schulsportvereinigung ein, die ihr Geld von der staatlichen Lotterie bekommt. Im Juni 2004 gab es eine Klage bezüglich der Geldverteilung, die vor dem Obersten Gerichtshof entschieden wurde. Die Klage war erfolgreich. Alle Frauenteams Israels erhalten seitdem mehr Geld.

Auf dem Platz hören Ganayems Mädchen die gleichen blöden Sprüche von ihren Gegnerinnen wie ihre männlichen, arabischen Kollegen: „Was wollt ihr hier?“ Oder: „Das ist nicht euer Land.“ Oder: „Ihr habt hier keinen Platz.“ Das wussten die Mädchen schon vorher, aber vielleicht sind sie gerade dabei, sich die Fußballplätze Israels zu erobern. Sie hören auch: „Hau ab nach Jordanien“, oder: „Geh doch in den Libanon.“ Der Trainer sagt seinen Mädchen: „Durch das Ohr rein, durch das andere Ohr raus.“ Und wie reagiert Suzanne, 16 Jahre alt, auf solche Sprüche? „Ich mache: pff und versuche ein Tor zu schießen“, sagt sie.

Nun hat Trainer Kamal Ganayem zwei Mannschaften gebildet, die Mädchen kicken ohne Torwart gegeneinander. Wer ein Tor kassiert macht drei Liegestützen. Das ist hart. Eines der Mädchen hat aufgehört mit dem Fußball, weil sie geheiratet hat. Sie war der Meinung, Fußball in kurzen Hosen schicke sich nicht für eine verheiratete Frau. Die Ehe als Klippe. „Sie war die Erste, ich hoffe, sie bleibt die Einzige, und die anderen, die heiraten, machen weiter“, sagt Hamid Ganayem.

Madeleine konzentriert sich auf die Schule, danach auf das Studium. Sie will, wenn es die Noten zulassen, Medizin studieren oder Sportlehrerin werden. „Ans Heiraten denke ich nicht“, sagt sie. Fußball will sie weiter spielen. Suzanne zieht die Nase hoch. „Heiraten?“, ihr Kaugummi fliegt ins Gras. Sie will Sport studieren. „Und dann heirate ich einen Fußball“, lacht sie.

Inzwischen sind eine Menge Zuschauer am Zaun. Mehr als bei den Spielen der Frauen-Liga. Es wird Kaugummi gemalmt und gequalmt.

Pioniere? „Hm“, überlegt Suzanne und Madeleine kratzt sich unter dem Kopftuch. „Ja“, sagt Madeleine, „vielleicht sind wir Pioniere.“ Suzanne fragt: „Gibt es das Wort Pionierinnen? Wenn es das Wort gibt, dann sind wir Pionierinnen.“

Der Trainer will, dass seine Spielerinnen noch ein paar Runden auslaufen. Sieben Runden um den Platz in Arraba in der untergehenden Sonne. Vor den Augen der Jungs. Die immer nur gucken. „Sollen selbst spielen statt gucken, das würde mir imponieren“, sagt Suzanne, „hier nur rumhängen, das ist doch schwach.“

Das erste Spiel der Saison ist in Shefar’am gegen die Frauen von Maccabi Haifa statt. Ein Sonntagnachmittag. Kaum Zuschauer, nur ein paar Eltern sind dabei, der Eintritt ist frei. Maccabi Haifa ist eines der großen Teams des israelischen Frauenfußballs. Die Frauen Sachnins sind Underdogs: ehrgeizig, kämpferisch, die den etablierten Teams der Liga Feuer unterm Hintern machen.

Ein Mädchen aus Haifa macht Rabatz. Sie will nicht fotografiert werden, weil sie ihr Bild nicht in einer arabischen Zeitung sehen will. Als sie erfährt, dass das nicht passieren wird, beruhigt sie sich. Suzanne fällt hin und verletzt sich am Finger. Als der Trainer ihren Finger mit einem Eisspray behandelt, schreit sie, dass es einem durch Mark und Bein fährt. Die Mädchen, die in der Pause von Kamal Ganayem erfahren, dass sie nicht eingewechselt werden, weinen bittere Tränen.

Sachnin macht zwei Tore und verliert doch mit 2:3. Als sie ausgewechselt wird, brüllt Suzanne ihren Trainer an, stampft wütend auf den Boden, und kann sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Sie rennt zornig vom Platz.

Die Frauen von Sachnin spielen körperbetont: Zweikämpfe, Tacklings, auch mal ein Foul. Haifa hält dagegen. Das führt zu vielen Freistößen, gelben Karten und Diskussionen, in die sich auch die anwesenden Eltern einmischen. Die Schiedsrichterin beliebt ruhig. Sie ist aus Nazareth, ihr Vater ist ein renommierter Referee. Sie bringt die Partie souverän über die Runden.

„Eine Niederlage beim ersten Spiel wirft uns nicht aus der Bahn“, sagt Madeleine. Und wie sie das sagt. Man kann sich nicht vorstellen, dass es irgendetwas gibt, was die Mädchen von Banat Sachnin aus der Bahn wirft.

Der Text ist in RUND #8_03_2006 erschienen.

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